Denys Arcand „Invasion der Barbaren“ wird voraufgeführt
: Der Tausch und der Tod

Unterschiedlicher könnte das Sterben eines Menschen nicht inszeniert sein als in zwei Erstaufführungen dieses Novembers. In Patrice Chéreaus Sein Bruder verläuft es widerstrebend und schmerzhaft, Invasion der Barbaren von Denys Arcand zeigt es als entspannte, zeitweilig gar heitere Angelegenheit. Chéreau rückt seinen Darstellern peinlich nah auf den Leib, Arcand lässt ihnen allen Raum zur Entfaltung ihrer Schauspielkunst. Bei Chéreau wird viel geschwiegen, Arcands Helden plappern in einem fort. Dort ist der Freitod zweckloser Protest, hier wohl dosierter Abschied.

Rémy, so heißt Arcands Sterbender, lässt sich im Kreise seiner Lieben und Geliebten den goldenen Schuss setzen – Höhepunkt einer Kette von Annehmlichkeiten, die sein verloren geglaubter Sohn mit viel Geld zu arrangieren weiß. Sébastien ist reich geworden als Spekulant und auf Bitte der Mutter, Rémys Exfrau, zurückgekehrt von der Londoner Börse an Papas Krankenbett in Québec. Arcand, und das macht seinen Film zur Komödie, durchkreuzt dabei die tragische Geschichte von Tod, verspäteter Vater-Sohn-Versöhnung und unausgesprochener Liebe mit einem sarkastischen Clash of Cultures zwischen New Economy und dem, was bei uns Alt-68 hieße.

Sébastien trommelt Rémys ehemalige Clique zusammen, adieu zu sagen. Gleichgültig ergraute Halbintellektuelle, wagemutig colorierte Gespielinnen, Freunde, die sich jahrelang nicht gesehen haben, erheben den Bordeauxkelch über Trüffelpasta und stimmen harmlosen Spott an auf alle hitzigen Ismen und Gefechte ihrer Jugend. Der Tonfall ist melancholisch und selbstgerecht. Arcand gibt uns sehr vergnüglich zu hören, wie linker Snobismus bildungsbürgerliche Behaglichkeit bauchpinselt. Das „kulturelle Kapital“, auf das sich die ideologische Avantgarde was einbildete, entpuppt sich als Blankoscheck, beliebig eintauschbar. Böse genug, lässt Arcand seine Helden diese Einsicht selbst ausbuchstabieren.

Dass Geld alle bestechen kann, außer den Tod, muss hingegen Sébastien erfahren, der „Prinz der Barbaren“. In schnellen Deals mit heißem Stoff geübt, besorgt er dem Vater die reinste Betäubung, die der Markt hergibt – und verliebt sich in die heroinsüchtige Kontaktfrau. Dieser eine Kuss des ganzen Films bleibt diesen beiden vorbehalten. Innerhalb Arcands geistreichem Plauderstündchen tatsächlich ein stiller, sehnsüchtiger Moment. Urs Richter

Previews: Donnerstag, frz. OmU-Fassung; Montag, deutsche Fassung, jeweils 20 Uhr, Zeise