Jassir Arafat liegt im Koma

Nach Aussagen französischer Ärzte besteht kaum noch Hoffnung für den Palästinenserpräsidenten. In Ramallah finden Krisenberatungen statt

JERUSALEM taz ■ Der Gesundheitszustand von Palästinenserpräsident Jassir Arafat hat sich drastisch verschlechtert. In der Nacht zu Donnerstag wurde der 75-Jährige auf die Intensivstation der Militärklinik Percy bei Paris verlegt, in dem er sich seit knapp einer Woche zu Untersuchungen aufhält. Die französischen Ärzte bestätigten am Nachmittag das „seit mehreren Stunden andauernde Koma“. Es bestehe „kaum noch Hoffnung“ für den Palästinenserpräsidenten. Offenbar wurden aufgrund des neuerlichen Schwächezustands die Untersuchungen eingestellt. Eine klare Krankheitsdiagnose gibt es noch immer nicht.

Obschon der palästinensische Sicherheitschef Mohammed Dahlan gegenüber Journalisten in Paris zunächst abstritt, dass sich Arafats Zustand verschlimmert habe, beriefen das PLO-Exekutivkomitee, höchste Instanz der Palästinensischen Befreiungsorganisation, sowie das Zentralkomitee der Fatah-Partei Arafats eine Dringlichkeitsberatung in Ramallah ein. Expremierminister Mahmud Abbas, genannt Abu Masen, leitete die Beratungen. Der Stuhl Arafats blieb wie bei früheren Sitzungen im Verlauf der Woche leer. Noch traut sich offenbar niemand, allzu klare Ambitionen auf die Nachfolge erkennen zu lassen. Abu Masen, nach Arafat die Nummer zwei in der PLO-Hierarchie, könnte vorübergehend die Geschäfte übernehmen, ebenso wie Premierminister Ahmed Kurei, genannt Abu Ala.

Nach dem palästinensischen Grundgesetz übernimmt der amtierende Parlamentspräsident bis zu maximal 60 Tagen die Amtsgeschäfte im Fall eines Ablebens des Präsidenten. Doch ein solches Vorgehen gilt in Regierungskreisen als nicht sehr wahrscheinlich. Zum einen ist der derzeitige Parlamentspräsident Rawfi Fatuheine eher unbekannte Figur. Zum Zweiten ist die Perspektive von allgemeinen Wahlen innerhalb von nur 60 Tagen illusorisch.

Immerhin hat die Autonomiebehörde eine Registrierung der Wahlberechtigten vorgenommen. Aktuellen Umfragen zufolge steht – abgesehen von dem inhaftierten Marwan Barghuti – Abu Masen mit 12,1 Prozent ganz oben auf der Popularitätsliste, dicht gefolgt von Abu Ala mit 11,3 Prozent und Dahlan mit 8,8 Prozent. Alle drei waren entscheidend an bisherigen Friedensabkommen beteiligt. Die potenziellen Nachfolger und Kritiker Arafats bewegen sich jedoch auf dünnem Eis und stehen unter peinlicher Beobachtung derer, die Arafat bis zum Ende die Treue geschworen haben.

Wer das Ende der Intifada predigt, läuft automatisch Gefahr, als Marionette der Regierung in Jerusalem in Verruf zu geraten. Bislang hielt sich Abu Masen mit konkreten Maßnahmen zurück, einzig sein Appell, „von Gewalt gegen Unschuldige“ abzusehen, nachdem am Montag drei israelische Zivilisten bei einem Bombenattentat in Tel Aviv ums Leben kamen, war deutlicher als die üblichen Verurteilungen.

Der ehemalige Premierminister strebt wie während seiner Amtszeit erneut einen Waffenstillstand mit den militanten Oppositionsgruppen an. Die einzelnen Fraktionen demonstrieren in diesen Tagen ungewohnte Einheit. Flugblätter auch der islamisch-fundamentalistischen Bewegungen Hamas und Islamischer Dschihad riefen zur Wahrung von Recht und Ordnung auf. Jahrelang wurden im Umfeld der Mukataa, dem Amtssitz Arafat, Witze darüber gerissen, wem der Palästinenserpräsident mehr verhasst ist: Israel oder der Hamas. Offiziell wünschten die islamischen Fundamentalisten dem „Präsidenten, Führer und Symbol“ baldige Genesung, doch besteht kaum Zweifel, dass es sich dabei um leere Floskeln handelt.

Aus den Reihen der Hamas kommt der Ruf einer gemeinsamen palästinensischen Führung, in der sich die Bewegung neben der Fatah durchzusetzen hofft. Noch liegt die Fatah Umfragen zufolge mit 41,5 Prozent deutlich in Führung. Die Hamas, die heute 32,6 Prozent der Stimmen erwarten könnte, hatte die Wahlen 1996 boykottiert. Eine vorübergehende Notstandsregierung wäre für die islamischen Fundamentalisten ein erster Schritt zur politischen Etablierung. SUSANNE KNAUL