Höflichkeit geht vor

Im Nahen Osten zeigt sich zuerst, ob die US-Außenpolitik eine neue Handschrift bekommt. Doch die Hoffnung ist nicht groß

VON KARIM EL-GAWHARY

„Wer immer in Amerika gewählt wird, er wird unser Freund sein“, sicherte sich der irakische Premierminister Ajad Alawi bereits ab, bevor das US-Wahlergebnis bekannt geworden war. Und selbst Palästinenserchef Jassir Arafat, der im Krankenhaus in Paris am Tag nach den Wahlen ins Koma gefallen ist, ließ kurz vorher noch Glückwünsche an Bush ausrichten. „Unser Palästinenserpräsident hofft, dass der US-Präsident jetzt die Gelegenheit wahrnimmt, die Voraussetzungen für einen Nahost-Friedensprozess zu schaffen, der auch die Rechte der Palästinenser garantiert“, erklärte sein Berater Muhammad Raschid diplomatisch freundlich.

Auch wenn kaum eine arabische Regierung von vier weiteren Jahren Bush begeistert sein dürfte, Höflichkeit geht vor. Man wird sich mit dem neuen alten Chef der Supermacht zu arrangieren suchen. Kein arabisches Regime kann es sich leisten, die amerikanische Prämisse „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ zu missachten und auf der falschen Seite zu enden.

Jedes Kind in der Region wisse, dass der Nahe Osten auch in den nächsten Jahren „den Hauptstoß der US-Außenpolitik zwischen präventiven Militärschlägen, Regime-Change und mehr oder weniger erzwungener Reformen abkriegen wird“, schreibt die libanesische Tageszeitung Daily Star in ihrer Donnerstagsausgabe. Die in London erscheinende saudische Tageszeitung Scharq Al-Aussat fragt schlicht: „Wer ist wohl als nächstes an der Reihe?“, und auch die ägyptische Wochenzeitung Ahram Weekly blickt wenig optimistisch in die Zukunft. „Die Welt bewegt sich mit der Wiederwahl von Bush auf eine Katastrophe zu, wenn die Neokonservativen das als Billigung ihrer Ideen sehen und mit diesem Mandat so weiter machen wie bisher“, schreibt Hassan Nafaa, Politikprofessor an der Universität Kairo. Man könne nicht ausschließen, dass die US-Regierung jetzt alle Konflikte nur noch mit Militärgewalt zu lösen versuche, nicht nur im Irak.

Was das Zweistromland betrifft, dürfte der Kommentator schnell Recht bekommen. Als fast sicher gilt, dass der Sturmangriff auf die irakische Stadt Falludscha, die seit April von den Aufständischen kontrolliert wird, unmittelbar vor der Tür steht. Die US-Marines, die in den letzten Wochen rund um die Stadt verstärkt wurden und längst den Einfall in die Stadt üben, haben nach Ansicht vieler Beobachter das Unternehmen Wiedereroberung wegen der US-Wahlen bislang aufgeschoben. Darüber hinaus dürfte Bush sicherlich den politischen Druck auf die von ihm als „Schurkenstaaten“ definierten Länder der Region, wie Iran und Syrien, weiterhin verstärken. Gegen Syrien wurden in den vorigen Wochen die US-Sanktionen erneut verschärft. Eine dritte militärische Front zu eröffnen, scheint im Moment dagegen außerhalb der Möglichkeiten Washingtons. Die US-Armee ist in Afghanistan und dem Irak am Ende ihrer Kapazitäten. Und alles spricht dafür, dass das auch noch eine Weile so bleiben wird.

Es gibt aber auch arabische Stimmen, die in der zweiten Amtszeit von Bush eine neue Ausrichtung der US-Politik in der Region erwarten. Die Neokonservativen in Washington, so deren Meinung, dürften durch den Irak die Grenzen ihrer Politik erkannt haben. Auch hier argumentiert Nafaa, dass „ideologische Regime niemals merken, wo ihnen Grenzen gesetzt sind und sie aufhören müssen“.

Auffällig sei, dass Kerry und Bush im Wahlkampf zwar oft über den Irak, die heimische Wirtschaft und das Gesundheitssystem gesprochen, aber das Palästinaproblem so gut wie nie erwähnt haben“, ist dem ägyptischen Politologen Muhammad Sid Ahmad aufgefallen, der deshalb von Bush weiter keine neuen Impulse erwartet. Die saudische Tageszeitung Arab News will die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben. „Die zweite Amtszeit von Bush gibt ihm die Möglichkeit, seine Politik im Nahost-Friedensprozess zu überdenken“, heißt es dort. Und die Zeitung erinnert daran, dass Bush der erste US-Präsident ist, der sich verbal für die Schaffung eines palästinensischen Staates verpflichtet habe.

Viel Zeit, über eine neue Politik nachzudenken, dürfte Bush nicht haben. In seiner ersten Amtsperiode hatte er Arafat immer als Haupthindernis im Nahost-Friedensprozess verkauft und dem israelischen Premier Ariel Scharon für dessen einseitige Maßnahmen stets grünes Licht gegeben. Wenn Arafat jetzt stirbt, muss sich Washington schnell zu dem dann entstehenden Vakuum verhalten. Es wird ein erster Hinweis, ob der Nahe Osten tatsächlich etwas Neues oder nur mehr vom Alten zu erwarten hat.