Bush 2 – highway to hell?

Ja.
Die kommenden vier Jahre Bush werden härter als seine erste Amtszeit. Der Präsident will tatsächlich die Welt umbauen und glaubt, jetzt könne ihn niemand mehr daran hindern. Das Schlimme ist: Er hat Recht.

„Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Realität“, schnaubte neulich ein Präsidentenberater verächtlich. Das Zitat müsste eigentlich jedem Regierungschef weltweit hübsch eingerahmt auf den Schreibtisch geschraubt werden.

Die USA werden materiell keine Probleme haben, ihren Willen durchzusetzen. Das Land ist reich, die Steuern für die Bundesebene fließen zu einem großen Teil in die Rüstung und die damit verbundene Forschung. Und dass die US-Industrie gesund bleibt, dafür sorgt Bush. Er will die Steuern weiter senken. Und andere Länder weiter zwingen, sich immer enger mit den USA zu verschränken, zu US-Regeln versteht sich. Der kleine Schluckauf bei der erst mal gescheiterten Welthandelsrunde wird nun verstärkt durch bilaterale Verträge überwunden werden. Von Land zu Land verhandelt es sich einfach leichter, wenn man selbst ein Vielfaches größer ist als sein Gegenüber. Bush wird in seiner zweiten Amtszeit jährlich etwa so viel für Rüstung ausgeben wie der Rest der Welt zusammen. Das heißt, der Vorsprung bei den Hightech-Waffen wächst immer weiter. Und eine halbe Billion Dollar pro Jahr investiert man nicht aus Spaß, da will man auch Ergebnisse sehen. Also aufgepasst, Iran, Syrien oder wer auch immer als Nächstes ins Fadenkreuz der Neokonservativen gerät.

Gnade dabei auch allen Gefangenen. Denn die Bush-Regierung interessieren die Menschenrechte ebenso wenig wie Genfer Konventionen. Verstöße, früher wenigstens vertuscht, passieren jetzt ganz offen. Das ist eine neue, aber wirksame Taktik: Wer sagt, dass er skrupellos gegenüber seinen Gegnern ist, kann nicht bei Schweinereien ertappt werden – er hat sie ja angekündigt.

Trotz von oben angeordneter Folter im Irak ist kein hoher Beamter des Pentagon zurückgetreten, geschweige denn der verantwortliche Minister Donald Rumsfeld. Auf Guantánamo werden nach wie vor Gefangene festgehalten ohne irgendeine rechtliche Grundlage. Aber auch das ist den Bushies egal. Für sie ist nur wichtig: Werden US-amerikanische Interessen weltweit durchgesetzt, werden alle der US-Handelszone dauerhaft und nachhaltig einverleibt?

Das Schlimme ist: Niemand kann die Weltumbauer schnell stoppen. Denn der Bush-Berater hat leider Recht mit seinem Spruch vom „Imperium“. Denn selbst wenn wir uns verrückterweise auf ein ähnliches Denken wie die US-Regierung und auf eine wahnwitzige technische Hochrüstung einließen: Es würde mindestens ein, zwei Generationen dauern, den USA auf diplomatischem und militärischem Gebiet irgendetwas gegenüberzusetzen. Und hinterher sähe es sozial hierzulande aus wie in den USA. Ein schöner Teufelskreis, in dem Old Europe sich da befindet.

Das alles ist aber nur die eine Seite der Medaille, die politische, Weltenlenker betreffende. Die andere greift weltweit ins alltägliche Leben ein. Es ist der religiöse Fundamentalismus Bushs und einiger seiner Mitstreiter. Ihre Erfolge ziehen sie aus der breiten Kirchenbewegung in den USA und deren teilweise wörtlichem Glauben an das Alte Testament. Sie werden weltweit Entwicklungshilfeprogramme darauf ausrichten, Abtreibung und Verhütung torpedieren, Sexualaufklärung in Aids-Programmen stoppen. Dass sie sich damit auf eine Stufe stellen mit arabischen Fundamentalisten, ficht sie nicht an.

Tja. Sieht düster aus für alle Nicht-Reichen dieser Welt. Trotzdem muss bei all dem Sendungsbewusstsein des George W. Bush und seiner Mannen von irgendwoher Rettung winken. Diese kann höchstens von innen kommen: Die weltlichen und die gemäßigten Republikaner müssten aufbegehren; die US-Gesellschaft noch einmal darüber nachdenken, dass ihre Selbstbezogenheit früher oder später auf sie zurückfallen wird.

REINER METZGER

Nein.

Zwar verkörpert George Bush, was wir an den USA zu hassen lieben. Einen arroganten messianischen Glauben an Amerika, eine irrationale Außenpolitik und einen kulturkonservativen Backlash nach innen. Und trotzdem: Das gefühlte Desaster ist nach dieser Wahl viel größer als das faktische.

Lassen wir die ästhetischen Vorbehalte gegen Bush & Co mal beiseite und schauen auf das für Europa Wesentliche: die Außenpolitik der USA. Richtig ist: Bush wird ein egomanischer US-amerikanischer Großmachtspolitiker bleiben und sich nicht, wie manche fast rührend grundlos hoffen, zum diplomatischen Staatsmann wandeln. Doch neben seiner dauerhaft trüben Gesinnung existieren Tatsachen, unleugbare Erfahrungen, wohin die Theorie der Weltbeglückung durch US-Bomben praktisch geführt hat – nämlich in die Straßenkämpfe von Falludscha und die zeitlich unbegrenzte Stationierung von mehr als 100.000 US-Soldaten im Irak. So werden in Bushs zweiter Amtszeit die Neokonservativen weiter das große Wort führen – aber praktisch haben sie in Bagdad wortwörtlich ihr Pulver verschossen. Sie haben dort ein Chaos angerichtet, und sogar der Präsident, stets gewillt zu übersehen, was ihm nicht passt, ist gezwungen, dies zur Kenntnis zu nehmen. So wird das Bild von den USA als gute Macht, die weltweit Demokratien herbeibomben kann und die Schurken bestraft, fortexistieren – aber nur als Fassade. Im Falle Iran oder Nordkorea wird die Bush-Regierung wohl vorsichtiger handeln. Sie wird dies nicht tun, weil sie begriffen hat, wie töricht ihre imperiale Ideologie ist, sondern aus Furcht vor dem imperial overstretch, weil die US-Armee nicht gleichzeitig zwei Irak beherrschen kann – von befrieden zu schweigen.

Bushs außenpolitischer Spielraum ist trotz republikanischer Mehrheit in Repräsentantenhaus und Kongress eng. Er kann nicht mehr so viel Unheil anrichten wie in den letzten vier Jahren – vorausgesetzt, kein zweites 9/11 verschafft ihm den Vorwand, alle internationalen Regelwerke über den Haufen zu werfen. Ohne Wiederholung des Terroranschlags dürften die außenpolitischen Unterschiede zwischen Bush und Kerry, der gegen Senat und Repräsentantenhaus hätte regieren müssen, eher klein sein.

Kurzum: Als Bush-Gegner läuft man Gefahr, sich von Bushs unterkomplexem Gut-Böse-Schema anstecken zu lassen und das trostlos moralisierte Weltbild, in dem Amerika und Gott irgendwie das Gleiche zu sein scheinen, spiegelverkehrt zurückzugeben. Doch wenn man das „Bush=Böse“-Schema verlässt, sieht man, dass diese zweite Amtszeit uns Europäer immerhin klare Diskursfronten und ein kristallklares Feindbild beschert.

Wer die politische Symbolik abzieht, sieht kein schwarz-weißes, sondern ein graues Bild mit Verlierern und Gewinnern. Zu den Verlierern gehört auch Angela Merkel, deren Chancen, Kanzlerin zu werden, als Bush-Freundin gesunken sind – während Schröder & Fischer das Dilemma erspart bleibt, entweder Kerry im Irak auflaufen lassen zu müssen oder sich dort, gegen alle eigenen Versprechen, doch einbeziehen zu lassen. Bushs Wiederwahl ist für Rot-Grün und Anhang in dieser Hinsicht bequem.

Mit Bushs Wiederwahl bleicht auch das Nachkriegsbild aus, das wir uns von den USA gemacht haben: die Idee, dass die USA so liberal, frei, weltoffen, multikulturell sind, wie wir es gerne wären. Dieser Traum hat sich als äußerst robust erwiesen – er hat Vietnam, Ronald Reagan und rauchfreie Kneipen überstanden. Doch das, was die religiöse Rechte derzeit aus den USA (zumindest jenseits von Ost- und Westküste) macht, wirkt wie Säure auf einem Gemälde. Und genau dafür scheint Bush nun gewählt worden zu sein. So wird die EU, siehe Buttiglione, säkularer – die USA, zu deren Gründungslegende die Trennung von Staat und Kirche doch zählt, entwickelt sich in die umgekehrte Richtung.

Mit Bushs Wiederwahl wäscht sich das leuchtende Bild der USA als Hort der Freiheit aus. Es wird realistischer, weniger von Sehnsüchten überwölbt. Was soll daran schlecht sein?

STEFAN REINECKE