Die Magie des Blech-an-Blech

Après-Ski-Atmosphäre: Die Einstürzenden Neubauten gaben sich im Volkspalast als halb gefährliche Erschrecker

Irgendwie passt es doch nicht, denn wenn man die Neubauten, die alten Architekturkritiker, die sich doch 1980 kurz nach dem Dacheinbruch des damaligen Kongresszentrums, des heutigen Hauses der Kulturen der Welt, der so genannten schwangeren Auster, gegründet haben, wenn man diese Neubauten als Band ansieht, die es vermag, Gebäude zum Einsturz zu bringen, dann sollten sie gerade nicht im Palast spielen, weil der ja schließlich erhalten werden soll, zumindest um den Neubau des Schlosses zu verhindern …

Nun: Der Palast stürzte trotzdem nicht ein am Donnerstagabend. Schließlich haben ja die Neubauten auch kein normales Konzert gegeben, sondern nur ein paar Hits der letzten Jahre gespielt und „Grundstueck“ aufgeführt. Aus „Grundstueck“, einem Titel des letzten Albums „Perpetuum Mobile“, entwickelte die Band ein prozesshaftes musikalisches Konzept, das über die normale Konzertsituation hinausgehen und sich auf den Schaffensprozess am bespielten Ort beziehen sollte. Das Experiment war zuvor in einer gotischen Kirche in Krems/Österreich und in einem alten Theater in Italien aufgeführt worden. Die Neubauten befinden sich nämlich gerade in Phase zwei ihres Subskriptionsprojekts. Im August 2002 konnten Fans und Unterstützer der Band, die „Supporter“, durch die Zahlung eines einmaligen Betrags die Neubauten-CD vorfinanzieren. Dafür konnten sie via Webcam am Entstehungsprozess im Studio teilhaben und erhielten am Ende eine limitierte, im Handel nicht erhältliche CD. Bei Phase zwei am Donnerstagabend durften die Supporter bei „Grundstueck“ und den Aufnahmen zu einer DVD mitwirken. Über 500 Unterstützer aus 26 Ländern waren dazu nach Berlin gereist, 150 Supporter sangen im Subskribentenchor mit.

Das Konzert begann, wie man es von den Neubauten gewohnt ist: Die sechs Herren in den dunklen Anzügen betraten in gelassener, heiterer Stimmung die Bühne, Schlagwerker Andrew Unruh kratzte, schabte und rieb Blech an Blech, zog fleißig Stahlsaiten über Tonabnehmer. Aber die Gitarre klang ungefährlich, der Bass fast gemütlich. Vom einstigen Imperativ „Höre mit Schmerzen“ war man weit weg. Die Größe und schauerliche Akustik des ungedämmten Raums ließen kein körperlich umfassendes Klangerlebnis zu. Herr Bargeld raunte seine manchmal etwas gewollt elaboriert wirkenden Texte und klang dabei mehr wie der Märchenonkel oder der Erschrecker im Gruselhörspiel als der gequälte Dämon. Andererseits: Auch ein etwas manierierter Herr Bargeld ist als Sänger und Texter noch geist-und humorvoller als der gesamte klägliche musikalische Nachwuchs im nationalen Musikbetrieb.

Im zweiten Teil der konzertanten Aufführung dann betätigten sich die Musiker perkussiv am Stahlgeländer, um, wie versprochen, den prekären Raum mittels Tonabnehmer zum Klingen zu bringen. Aber eine neue Magie des Orts konnten auch die Einstürzenden Neubauten nicht herbeispielen. Wie denn auch? Es ist eines der letzten Konzerte dieser Saison im zwischengenutzten „Volkspalast“. Seit August wurde der Palast betanzt, bespielt, illuminiert, besungen, besprochen und geflutet. Er ist als Veranstaltungsort längst angenommen, aber auch schnell alltäglich geworden. So stand man in hochgeschlossener Winterkleidung in der stählernen Palastkälte, hielt Getränke in der Hand und genoss die Après-Ski-Atmosphäre ringsum.

CHRISTIANE RÖSINGER