Bezaubernde Bedienung

Wie ich endgültig zum Fußballfan wurde. Ein rundum schöner Stadionbericht

Ich blickte überrascht zu ihr auf. Jetzt erst bemerkte ich es: Sie war eine Schönheit

Der Fußballverein Eintracht Braunschweig hat seit Jahr und Tag seine schlichte Heimstatt in der Regionalliga. Verdientermaßen muss man sagen, aber die Fachwelt kann trotzdem nicht aufhören, sich verdammt noch mal zu wundern, wie die das machen. Denn das Stadion an der Hamburger Straße ist trotzdem voll. Nun, es ist fast zu einfach. Man spielt gern drittklassig. Denn die Menschen, die in zweiwöchentlichem Turnus sich hier einfinden, und höchstens bedauern, dass es keinen Jägermeister mehr zu kaufen gibt, ahnen: Sie sind es auch!

Wir hatten schon vor dem Spiel drei Rutschen Hellbier gelöffelt, und der Mann in Schwarz hatte just angepfiffen, als die Reihe an mir war, die nächste zu besorgen. Die – tja, wie man so sagt – Freunde sahen mich erwartungsvoll an, und ich atmete zischend aus. „Also ich hab keinen Durst mehr, wenn einer geht, kann er mir ’ne Wurst mitbringen …“

Es war ein kleiner Scherz, aber man wird ja so oft missverstanden im Leben. Ich wurde beschimpft und geschubst und musste dann losziehen. Und mein erklärendes „Kann ich was dafür, dass ihr mehr Durst habt“ schien sie nur noch mehr in Rage zu bringen. „Schleich dich, und tritt uns erst wieder unter die Augen, wenn du deine Sünde mit sieben randvollen Bechern Gegorenem abzuwaschen in der Lage bist, du … du alter Nassauer, du!“ Das war Thomas, ein führender niedersächsischer DGB-Funktionär, der in seinem Job schönreden gelernt hat.

Ich drängelte mich durchs Kollektiv, dem eine ungerechte Schiedsrichterentscheidung soeben eine gesunde Farbe auf die Wangen getupft hatte, ging die Treppe der Arena hinab und stellte mich an einen verwaisten Bierstand. Die drei Damen in weißen Kitteln erzählten sich Abenteuergeschichten vom letzten Wochenende („Der hatte Haare sogar auf dem großen Onkel, brrrrrrrr“), kicherten viel dabei und hielten ihre Zigaretten in mondän abgewinkelter Armstellung. Hier ließ eine sanfte Brise der Weltläufigkeit die Kittelschöße wehen.

„Entschuldigung.“ Ich hob eine Hand, um auf mich aufmerksam zu machen. Ich wollte nicht wissen, welche somatischen Anomalien die anderen beiden Damen am Wochenende erlebt hatten. Sie sahen sich an, grinsten verschworen, die mit dem kürzesten Stummel zog noch einmal dran, schnippte ihn ins Gebüsch und kam dann näher. „Wohl keine Lust aufs Spiel, oder was?“ – „Doch, aber … egal. Haben Sie auch Jägermeister?“ – „Nicht dass ich wüsste.“ Sie schrie über die Schulter. „Ham wa Jägermeister im Programm?“ – „Neee“, schrien die anderen beiden gleichzeitig. Sie hob beide Hände, das Zeichen für „Sie hören es ja selbst: Ham wa nich!“ – „Dann Bier“, nickte ich. „Sieben.“

Sie stellte mir prompt die Becher hin, nicht ohne sie vorher noch mit einer kleinen Krone Schaum aufzuhübschen. „Sieht gut aus“, nickte ich anerkennend. Und dann überblickte ich das Problem. Und mit mir sah sie es auch. „Wie willsten die wegkriegen?“ Sie lachte grob. „Haste gedacht, du krist ’n Tablett mit?“ Die anderen beiden kreischten vor Vergnügen.

Sie ließ mich eine Minute probieren, die Becher auf die beiden Hände zu verteilen, und weidete sich an meiner langsam steigenden Unruhe. Schließlich seufzte sie gönnerhaft. „Na komm her, drei du, vier ich … Ich wollte mir sowieso das Spiel ansehen!“ Und ich blickte überrascht zu ihr auf. Namenlose Zärtlichkeit in den Augen verlieh ihren ebenmäßigen Züge einen beinahe überirdischen Glanz. Ja, jetzt erst bemerkte ich es: Sie war eine Schönheit. Linkisch wie ein Konfirmand dankte ich ihr. „Das hätte ich kaum zu träumen gewagt.“ – „Komm schon“, sagte sie, „oder willste die Pisse verdunsten lassen?“

Ich folgte ihr wie ein junger Dackelwelpe seinem Frauchen. Als wir die Treppe hinaufgestiegen waren, befahl sie: „Geh vor, du weißt ja wohl besser, wo deine Leute stehen.“ Und ich betete, mich nicht verlaufen zu haben.

Aber da tauchten auch schon die bekannten Gesichter auf, und ich stellte sie sogleich meiner auratischen Begleitung vor. „Rüdiger, Thomas, Gerald, Guido … und das da …“ – „Ja, ja“, winkte sie ab, „jetzt nehmt mal endlich die Becher hier, muss ja weitergehen …“ So hochachtungsvoll und neidverhärmt hatte mich meine Bezugsgruppe das letzte Mal angesehen, als ich sie beim Eckenraten im großen Einmaleins, ja, man darf wohl sagen: vernichtet hatte. Und das verdankte ich nur ihr, diesem Göttergeschenk im Kittel.

„Okay“, flüsterte ich sanft. Aber weil gerade ein Beifallssturm im Stadion aufbrandete, musste ich den Rest schreien. „Ihr spielt zwar in der dritten, aber euer Service ist Bundesliga!“ – „Du bist doch ’n Spinner bist du!“

Aber als sie ging, schenkte sie mir doch noch ein bezauberndes Lächeln, das einen richtigen Fan aus mir machte. FRANK SCHÄFER