: Gegen das große Atomklo
AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES
Natürlich wollen die Landwirte aus dem niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg „auch in diesen schweren Zeiten die Fahne hochhalten“, wie es der Sprecher der wendländischen „Bäuerlichen Notgemeinschaft“, Carsten Niemann, sagt. Erneut würden sich viele Traktoren an der „großen Auftaktdemo“ beteiligen, mit der heute in Dannenberg die heiße Phase der Proteste gegen den achten Castor-Transport in das Zwischenlager Gorleben beginnt. Der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Francis Althoff, ist „persönlich zufrieden, wenn zur Auftaktdemo 3.000 Menschen kommen“. Schließlich gebe es in Nürnberg gleichzeitig eine bundesweite Großdemo gegen Sozialabbau. Zu der wäre Althoff auch gefahren, wenn nicht gerade der alljährliche Transport von zwölf Behältern mit hochradioaktiven Wiederaufarbeitungsabfällen aus dem Französischen La Hague nach Gorleben anstünde.
Die Gorleben-Castoren Nummer 45 bis 56 sollen heute Abend in Frankreich auf die Bahnreise gehen und werden voraussichtlich am Montag die Umladestation für Atommüllbehälter in Dannenberg erreichen. Wenn die Behälter mit in Glas eingeschmolzenen Spaltprodukten dann auf Straßentieflader umgeladen sind und wahrscheinlich am Dienstag die große Betonhalle im Gartower Forst erreichen, wird im Zwischenlager Gorleben schon ein Drittel des dort zur Lagerung vorgesehenen hochradioaktiven Mülls angekommen sein. Dort stehen gegenwärtig fünf Behälter mit abgebrannten Brennelement und 39 mit so genannten Glaskokillen mit Wiederaufarbeitungsabfällen, zu denen nun noch zwölf weitere hinzukommen. Nach dem zwischen Bundesregierung und AKW-Betreibern vereinbarten Energiekonsens soll das Zwischenlager Gorleben keine weiteren Brennelementbehälter, dafür aber insgesamt 166 Behälter mit in Glas eingeschmolzenen Wiederaufarbeitungsabfällen aufnehmen. Da allerdings die AKW-Betreiber etwas weniger abgebrannte Brennelemente zur Wiederaufarbeitung nach Frankreich schicken, als es der Atomkonsens erlaubt, werden nach Angaben des Zwischenlagerbetreibers BLG wohl nur gut 150 Behälter mit WAA-Abfällen aus dem Ausland nach Gorleben zurückkommen.
Bei den Protesten gegen den alljährlichen Castor-Transport nach Gorleben geht es also längst nicht mehr um die Inbetriebnahme der riesigen Castor-Halle und auch nicht mehr darum, den Landkreis Lüchow-Dannenberg, der auch hannoversches „Wendland“, also Slavenland, heißt, von hochradioaktivem Müll freizuhalten. Dennoch wollen in den kommenden Tagen gewaltfreie Aktivisten der Gruppen „Widersetzen“ und „X-tausendmal quer“ erneut mit größeren oder großen Sitzblockaden auf der Straße die beiden Castor-Routen zwischen der Umladestation in Dannenberg und Gorleben dicht machen. Die Polizei braucht immer noch ein Großaufgebot, um die zwölf Behälter ins Zwischenlager zu bringen. Auch wenn Einsatzleiter Friedrich Niehörster glaubt, mit etwas weniger als den 12.500 Beamten des vergangenen Jahres auszukommen, erwartet er „wie in den letzten Jahren Camps, Mahnwachen, Demos, Sitzblockaden und eine bunte Welt aus Kunstaktionen und Konzerten“.
Dass es auch beim achten Castor-Transport nach Gorleben zwar einen zahlenmäßig geringeren aber immer noch einen entschlossenen Widerstand gibt, liegt an der noch unentschiedenen Grundfrage der Atommüllentsorgung, der Endlagerung des strahlenden Mülls. Wie schon vor nunmehr 27 Jahren, als die niedersächsische Landesregierung im Februar 1977 Gorleben zum Standort des deutschen „Nuklearen Entsorgungszentrums“ ernannte, will die traditionsreiche BI Lüchow-Dannenberg verhindern, dass das Wendland durch ein Endlager in Gorleben zum zentralen deutschen Atomklo wird. Schließlich müsste es dann ganz andere Mengen Atommüll als bislang und dies auf Dauer aufnehmen. Die Castor-Transporte sind so zum alljährlichen Anlass geworden, um vor allem gegen die immer drohende Atommüllendlagerung in Gorleben zu protestieren. „Jeder Castor-Transport zementiert Gorleben als Endlagerstandort“, ist der diesjährige Widerstandsaufruf zum „Tag X“ überschrieben. Der 1977 bewusst an die damalige DRR-Grenze gelegte Endlagerstandort sei ein aus politischen Gründen gewähltes „Relikt des Kalten Krieges“. Schließlich fehle dem Salzstock als Barriere nach oben ein geschlossenes Deckgebirge und er habe Verbindungen zum Grundwasser.
Im Gorlebener Endlagerbergwerk, das vom Zwischenlager nur 500 Meter entfernt ist, ruhen zwar seit langem die Arbeiten. Schließlich hat Bundesumweltminister Trittin die weitere „Erkundung“ des Salzstocks, die stets als schlichter Ausbau des Endlagerbergwerks betrieben wurde, durch ein Moratorium gestoppt. Die versprochene neue Suche nach dem geeigneten Standort des zentralen deutschen Atommüllendlagers hat er allerdings immer noch nicht auf den Weg gebracht. Zwar hat der von Trittin eingesetzte „Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte“ schon vor zwei Jahren seinen detaillierten Vorschlag für eine ergebnisoffene, mehrere Standorte vergleichende Endlagersuche vorlegt. Seither hat sich allerdings bis auf den gescheiterten Versuch des Bundesumweltministeriums, die Länder und die Oppositionsfraktionen bei der neuen Endlagersuche mit ins Boot zu holen, nichts mehr getan.
Immerhin hat Jürgen Trittin persönlich mittlerweile mehrfach versprochen, sein Haus werde bis Ende des Jahres einen Gesetzentwurf über das Auswahlverfahren für das deutsche Atommüllendlager vorlegen. Ministeriumssprecherin Frauke Stamer bekräftigte gestern noch einmal, dass diese Zeitvorgabe weiter gelte. Allerdings muss Trittins Entwurf eines Endlagersuchgesetzes anschließend zunächst in die Abstimmung mit anderen Ressorts, wie etwa des Bundeswirtschaftsministeriums, und er muss vor allem von Anfang an so gestaltet sein, dass das neue Gesetz die Zustimmung des Bundesrates nicht braucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen