Wucher mit Sprit

aus Harare GODFREY KARORO

Wer in Simbabwe einen Arbeitsplatz hat, muss viel Zeit mitbringen. Seit dem Land vor über einem Monat das Benzin ausgegangen ist, stehen die Leute in den Wohnvierteln am Stadtrand von Harare um drei Uhr früh auf, um bis acht ins Zentrum der Hauptstadt zu gelangen. Arbeiter und Angestellte reisen auf Lastwagen oder Traktoren – wenn sie sich das leisten können. Andere besorgen sich Fahrräder oder gehen zu Fuß, zehn Kilometer in jede Richtung und mehr.

Es gibt keinen öffentlichen Nahverkehr mehr, Privatautos fahren kaum noch, weil sie nicht mehr tanken können. Ökonomen schätzen, dass der Treibstoffmangel die Wirtschaftsleistung um 30 Prozent reduziert – in einem Land, dessen Wirtschaft ohnehin jedes Jahr schrumpft, in dem die Arbeitslosenquote bei 80 Prozent liegt und die Inflation 455 Prozent beträgt. Sogar Polizei und Feuerwehr sind lahm gelegt. Untersuchungshäftlinge werden zu Fuß durch die Straßen getrieben, wenn die Polizei sie dem Richter vorführen will. Wer einen Krankenwagen ruft, erhält die Auskunft, es gebe kein Benzin. Und dann kann man nur noch auf private Krankentransporte ausweichen, die 70.000 Sim-Dollar (10 Euro auf dem Schwarzmarkt) verlangen, bevor sie sich mit Patienten beschäftigen. Der Mindestlohn beträgt 80.000 Sim-Dollar.

Benzinknappheit kennt das südafrikanische Land seit 2000, als die Regierung von Präsident Robert Mugabe Wirtschaftsprogramme von IWF und Weltbank ablehnte und dadurch Zahlungsbilanzunterstützung verlor. Devisen wurden knapp, Treibstoffimporte wurden für das Land zu teuer. Aber als die „Landreform“ den exportorientierten Agrarsektor zusammenbrechen ließ, wurden Importe unmöglich. 2001 sprang Libyen aus Solidarität mit dem international isolierten Mugabe-Regime mit Benzinlieferungen ein, im Tausch gegen Anteile an Ländereien und Staatsbetrieben. Aber 2002 zerbrach auch dieser Deal.

Die Bürger nahmen es bislang relativ gelassen hin. Autofahrer warteten im Lauf der Jahre immer länger in langen Schlangen, brachten Picknickstühle und Sandwichs mit. Manche fingen sogar an zu grillen. Wenn es zu lange dauerte, ging man nach Hause und ließ das Auto über Nacht stehen. Wer es eilig hatte, fuhr Tanklastwagen hinterher, um am Zielort der Erste zu sein. In jüngster Zeit jedoch schlug die Stimmung um. Ein Schwarzmarkt bildete sich heraus, in dem Benzin am Straßenrand zu Wucherpreisen verkauft wurde.

Die Regierung reagierte in der üblichen Weise: Sie machte den Rest der Welt für das Problem verantwortlich. So habe die britische Kriegsmarine den Hafen Beira in Mosambik blockiert, um Öltanker mit Ladungen für Simbabwe fern zu halten, behauptete sie. Auch habe der britische Botschafter lokale Geschäftsleute dazu gebracht, Benzin zurückzuhalten, damit der Preis steige. Die Menschen glauben solchen Geschichten ohnehin nicht. Vor einigen Monaten wurde die Autokolonne des Präsidenten in Harare von einem Pfeifkonzert empfangen, als sie gerade eine der vielen Warteschlangen passierte. Die eskortierenden Soldaten kamen später wieder und verprügelten die Protestierer.

Dass die Regierung im Juni ihr Monopol auf Treibstoffimporte beendete, half wenig: Der Benzinpreis an der Tankstelle vervierfachte sich über Nacht auf bis zu 2 Euro pro Liter. Wer Devisen hatte, importierte jetzt Benzin und verkaufte es zum Wucherpreis. So gibt es einige wenige einheimische Geschäftsleute, zumeist Funktionäre der Regierungspartei, die Benzin aus Südafrika importieren und zu 2.600 bis 3.200 Sim-Dollar weiterverkaufen (nach dem offiziellen Wechselkurs 3 bis 4 Euro pro Liter, nach dem Schwarzmarktkurs 50 Cent).

Auch auf dem Land stagniert die Wirtschaft. Von den 150 Millionen Litern Diesel, die die Landwirtschaft jetzt bei der Aussaat für Traktoren braucht, sind nur 280.000 vorhanden. Die Ernte von Weizen und Gerste verfault auf den Feldern, während die eingefahrene Maisernte nicht auf die Märkte gebracht werden kann. Die meisten der auf enteignetem Großfarmerland angesiedelten Kleinbauern haben ihre Arbeit eingestellt, weil sie entweder ohnehin kein Kapital haben oder es nicht riskieren wollen, solange sie nicht wissen, zu welchen Preisen sie später ihre Ernte an die staatlichen Stellen abliefern müssen.

Eine Wende ist nicht in Sicht, denn jeder Devisen bringende Wirtschaftszweig steckt tief in der Krise. Die Tabakernte des einst größten Tabakexporteurs der Welt sank von 237.000 Tonnen im Jahr 2000 auf 80.000 in diesem Jahr, die Weizenernte von 283.000 auf 60.000 Tonnen. Der Viehbestand, einst für Exporte in die EU wichtig, schrumpfte von 1,2 Millionen auf 150.000 Stück. Touristen kommen nicht mehr. Die nationale Fluglinie musste ihre Maschinen stilllegen, ausländische Fluglinien tanken nur noch in den Nachbarländern.

Wegen der Hyperinflation – die meisten Güter des täglichen Bedarfs sind in den letzten zwei Monaten um 600 Prozent teurer geworden – greifen Arbeitsniederlegungen um sich. Die Angestellten der staatlichen Telefongesellschaft etwa traten Mitte Oktober in den Ausstand und verlangten eine Gehaltserhöhung von 500 Prozent. Krankenhausärzte haben die Arbeit niedergelegt und wollen ein Mindestgehalt von 30 Millionen Sim-Dollar: 5.000 Euro nach derzeitigem Kurs, aber bald vermutlich viel weniger. Im September wurde manchen Beamten bereits das Gehalt um die Hälfte gekürzt, weil der Staat kein Geld hat.

Als der simbabwische Gewerkschaftsbund im Oktober Demonstrationen ansetzte, wurden über 200 Menschen verhaftet – Versammlungen von mehr als fünf Personen müssen polizeilich angemeldet sein, werden aber meist nicht genehmigt. Die meisten Menschen schrecken vor offenem Protest zurück – sie haben gesehen, wie brutal die Sicherheitskräfte während der Landbesetzungen und der Wahlkämpfe mit Regimegegnern umgingen.