Bombenangriff auf Bochum

Eine Veranstaltung zum 60. Jahrestag des schwersten Bombenangriffs auf Bochum befasste sich auch mit der umstrittenen These vom „geplanten Massenmord an der deutschen Zivilbevölkerung“

Es sind die Jahrgänge ab 1930, die in ihrer Kindheit Nächte in Kellern und Bunkern erleben mussten

von HOLGER HEITH

Der Bombenangriff auf die Ruhrgebietsstädte im zweiten Weltkrieg beschäftigt auch 60 Jahre später die Bevölkerung. Im Anschluss an eine Gedenkstunde für den schwersten Angriff auf Bochum am 4. November 1944 in der Pauluskirche fand zum gleichen Anlass eine Diskussion im „Haus der Geschichte des Ruhrgebiets“ statt. Prominentester Teilnehmer war der Autor Jörg Friedrich, der durch sein kontrovers diskutiertes Buch „Der Brand“ über den alliierten Bombenkrieg gegen Deutschland Bekanntheit erlangt hat. Das Werk nennt den Bombenkrieg einen geplanten Massenmord an der deutschen Zivilbevölkerung. Einige zugespitzte Formulierungen und der Beifall aus dem Lager der extremen Rechten haben dem Autor den Vorwurf eingetragen, die Vernichtung deutscher Städte mit dem Holocaust gleichzusetzen.

Friedrich besitzt eine bemerkenswerte Fähigkeit. Im Gegensatz zu vielen Professoren, die ihren Vortrag Wort für Wort von Blatt lesen, spricht er frei. Mehr noch: Er versteht es durch seine bedächtige aber doch eindrückliche Sprache suggestiv auf den Zuhörer einzuwirken. Seine Argumentationskette ist schlüssig. An eigens in den USA erbauten „Teststädten“ sei wissenschaftlich an der Optimierung der Vernichtungswirkung der Bombardierungen gearbeitet worden. Britische Strategen hätten dem Bombercomand Tötungszahlen für deutsche Zivilisten von apokalyptischem Ausmaß vorgegeben.

Von Hitler, Stalin oder Pol Pot hätte man nichts anderes erwarten können, aber das Unverständnis, dass die vorbildlichen demokratischen „Befreier“ für dieses Verbrechen verantwortlich waren, scheint eine Triebfeder Friedrichs zu sein. Er erwähnt nicht, dass die deutsche Luftwaffe das vernichtungswirksamste Verhältnis zwischen Spreng- und Brandbomben bereits in Guernica und Coventry getestet hat. Genau genommen muss er das auch nicht, denn er spricht über die Vernichtung deutscher Städte. Er benennt auch Kriegsverbrechen der Wehrmacht, lässt keinen Zweifel an der Kriegsschuld der deutschen Führung und der Notwendigkeit ihrer Beseitigung. Gleichwohl stellt der folgende Referent Norbert Krüger deutlicher die deutsche Verantwortung in seinem Vortrag dar. Friedrich spricht von den Opfern und immer wieder von den Kindern.

Gerade diese sitzen überwiegend in der mit über zweihundert Besuchern erstaunlich gut besuchten Veranstaltung. Es sind die Jahrgänge ab 1930, die in ihrer Kindheit Nächte in Kellern und Bunkern erleben mussten, ohne dass die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft bereit und in der Lage gewesen wäre diese traumatischen Erfahrungen jemals aufzuarbeiten. Es sind diese Zeitzeugen, die sich, angeregt durch die von Monika Wibori vorgestellten visuellen Zeugnisse des brennenden Bochums im Jahr 1944, rege an der folgenden Diskussion und den Zwischenrufen beteiligen. Nachhaltig war die Schilderung eines damals 12-Jährigen, der, seine kleine Schwester auf dem Schoß haltend, im brennenden Elternhaus ausharren musste. Seine Worte: „Ich habe die Hölle erlebt.“

Die Veranstaltung hatte jedoch ihren Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Betrachtung der Ereignisse. Auffällig dabei war, dass die bisher unerwähnten Fragen, nach der Gefahr des gegenseitigen Aufrechnens der Toten, von Vertretern aller anwesenden Altersgruppen aufgeworfen wurden, vielleicht von den älteren und mittleren Generationen eindrücklicher, dafür von den jüngeren ausdrücklicher. Beantwortet wurde die Frage danach, wieweit man die Opfer der deutschen Zivilbevölkerung und die Schuld der Alliierten thematisieren könne, ohne den Beifall von der falschen Seite anzulocken, an diesem Abend nicht.

Aber hätte es ohne diese totale Niederlage, die durch den Bombenkrieg in jede deutsche Stadt getragen wurde, nicht vielleicht eine ähnliche Dolchstoßlegende gegeben wie 1918? 1945 gab es in den deutschen Städten kaum noch Stammtischstrategen, die vom nächsten Krieg träumten, während sie sich ihres warmen Zuhauses gewiss sein konnten. Da die Diskussion, die länger dauerte als geplant, vielfältige Fragen vom Völkerrecht über religiöse Fragen bis zum Vergleich sämtlicher stattgefundenen und geplanten Kriege der letzen hundert Jahre, umfasste, ist es leider nicht möglich, den Verlauf hier angemessen darzustellen. Am Ende hatte der Abend viele bereichernde Blickwinkel erhellt. Der Zeitzeuge, der gegen Ende der Veranstaltung mehrfach mit dem Zwischenruf „das war Mord“ unangenehm auffiel, konnte diesen Eindruck nicht trüben. Angesichts des Umstandes, dass er vielleicht als Kind am 4. November 1944 in Bochum die traumatisierenden Erfahrungen machen musste, wegen derer heute jeder Bundesbürger jahrelang psychologisch betreut würde, sei es ihm verziehen.