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Archiv-Artikel

Chemie-BUM verjagt Anwohner

In Marl soll nun doch die Westerweiterung des Chemieparks in Angriff genommen werden – um Arbeitsplätze zu schaffen. Der Ausbau bewirkt aber vor allem eins: den Tod einer Bergbau-Siedlung

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Erst wurde sie beschlossen, dann wieder revidiert, und jetzt wieder beschlossen: die Westerweiterung des Chemieparks in Marl. Unlängst hatte der neue Rat um die parteilose Bürgermeisterin Uta Heinrich mit einer Stimme Mehrheit einen alten Beschluss aufgehoben, der die Westerweiterung eigentlich verhindern sollte. Nun aber müssen die Bewohner der angrenzenden Schlenke-Siedlung, einer alten Bergbau-Kolonie, wieder bangen. Denn wenn der Chemiepark wächst, stirbt die Siedlung.

Davor graut es den Bewohnern. 50 Jahre ist die Siedlung alt, viele Menschen wohnen schon lange dort. „Es hat sich hier eine eigene soziale Struktur ausgebildet“, sagt der Vorsitzende des Mietervereins, Werner Bergerhoff. Jeder helfe jedem. Nun aber wolle man sie in verschiedene Siedlungen ausquartieren – in „versiffte“ Gegenden, wie es der 68-Jährige formuliert.

Deshalb gründeten die Mieter eine Genossenschaft, mit der man „einfacher an Kredite kommt“, sagt Bergerhoff. Mit denen könnten sie dann eine neue Siedlung bauen. Denn das ist es, was die Schlenker wollen: „Zusammen leben“, weiß der Vorsitzende. Doch bisher fehlen die nötigen Finanzmittel.

Die Politiker scheint das nicht sonderlich zu interessieren. Früher sollte die Westerweiterung, wenn überhaupt, im Einvernehmen mit den Siedlern in Angriff genommen werden. Heute geht es auch ohne. Bergerhoff vermutet, dass private Interessen dahinter stehen: Denn der Gatte der Bürgermeisterin, Friedrich Heinrich, war früher leitender Angestellter bei Infracor, einem im Chemiepark ansässigen Unternehmen. Heute ist Herr Heinrich pensioniert und außerdem Gründungsmitglied von BUM, der Bürger Union Marl. Die unterstützt natürlich die Bürgermeisterin. Und die wiederum treibt eifrig die Westerweiterung voran. Uta Heinrich macht aus ihren Kontakten zu Infracor keinen Hehl. Wie auch? Lieber führt sie den Konzern als einen der Gründe für die Erweiterung an. Der Chemie-Dienstleister baue Stellen ab, „weil er keine Arbeit mehr hat“, sagt Heinrich. Mit einer Ausweitung der Chemiefläche soll sich das ändern. Allein 3.300 Stellen sollen auf diese Weise entstehen, nicht nur bei Infracor. Plus etliche weitere in Partner-Unternehmen und 2.000 Plätze für zwei Jahre, um die Fabriken zu bauen. Ohne Abriss der Siedlung sei dies nicht möglich, sagt Heinrich. „Oder haben Sie eine andere Idee?“

Paul Wagner von den Grünen glaubt, niemand habe etwas gegen die Erweiterung. „Wir sind ja eine Chemiestadt“, sagt der Fraktionsvorsitzende. Im Chemiepark seien zwar ausreichend Freiflächen – allerdings „kontaminierte“. Deren Sanierung koste zu viel Geld. „Deshalb sollen die Flächen außerhalb erschlossen werden“, sagt Wagner. Dass die Ansiedlung neuer Firmen indes Arbeitsplätze bescheren soll, findet Wagner „Humbug“.

Das größte Unternehmen im Chemiepark, die Degussa AG, steht der Westerweiterung „grundsätzlich positiv gegenüber“. Eine Sprecherin betonte aber gegenüber der taz, dass für Degussa und Dritte derzeit „genügend Flächen für die Ansiedlung neuer Investitionen innerhalb des Chemieparks Marl und an anderen deutschen Standorten zur Verfügung“ stünden.