Kleider suchen Leute

Die Hamburger Staatsoper lädt zum Stöbern im Fundus ein. Kostüme, Hüte und Masken können dort anprobiert und gekauft werden. Was nicht verkauft wird, geht zurück. Oder an die Heilsarmee

Von Jennifer Neufend

„Du siehst aus wie ein Senfglas, Gerd!“ Aus den unzähligen Kostümen des Fundus der Staatsoper Hamburg hat er sich einen gelben Mantel herausgesucht. „Die Ärmel sind etwas zu lang“, berät Gerd eine kundige Mitarbeiterin der Staatsoper. Und an den Schultern passe er nicht. „Aber die Länge ist genau richtig.“ So recht entscheiden kann er sich aber nicht, dreht sich hin und her, betrachtet den senfgelben, langen Mantel.

Aus welchem Stück das farbenfrohe Stück wohl stammt? Ungefähr alle eineinhalb Jahre wird im Fundus der Staatsoper ausgemistet. Denn was sich in den vergangenen Spielzeiten angesammelt hat, kann nicht alles aufbewahrt werden. Die Kleider, Kostüme und Anzüge sind nach Stücken sortiert: „Dornröschen“ – Damenballett, „Carmen“ – Herren-Solo oder „Rosenkavalier“ – Herrenchor. So steht es an den mannshohen Kleiderstangen.

„Wir produzieren so viel neu. Dafür müssten wir immer wieder neue Räume anmieten“, erklärt Doris Kirchhof, die Leiterin der Kostüm- und Maskenverwaltung. „Wir sind gezwungen zu verkaufen.“ Doch worüber die einen traurig sind, darüber freuen sich die anderen. Neben Theater- und Ballettgruppen tummeln sich auch ganz normale Hamburger zwischen den Kleiderstangen und Kisten mit Hüten und Schuhen.

Zwischen einem Euro für einen Hut und 600 Euro für ein pompöses Kleid aus dem „Sommernachtstraum“ variieren die Preise. Auch Masken und Perücken werden feilgeboten. So zum Beispiel die Menschenfresser-Maske aus dem Märchen Pollicino. Mit einem speziellen Material haben die Maskenbildner der Staatsoper das hautfarbene Gruselgesicht direkt an die Konturen des Spielers angepasst. In den Regalen liegen außerdem Wildschwein-, Pferde- und Hasen-Masken.

„Man kann sich mal anziehen wie eine Hofdame“, freut sich eine stöbernde Hamburgerin. „Außerdem macht es Spaß, in ein Kostüm reinzuschauen. Denn auf einem Etikett steht, wer es getragen hat.“ Erwachsene werden zu Kindern und erfüllen sich den alten Traum, im großen Kleiderschrank zu wühlen.

Auf der anderen Seite dagegen macht sich Wehmut breit. Sanft streicht eine Schneiderin über einen Umhang. „Das waren drei Wochen Arbeit mit ganz viel Liebe“, erinnert sie sich. „Wenn das verkauft wird, tut das schon weh.“ Aber wenn sie sehe, wie sich jemand freue, ein besonderes Kleid mit Korsett tragen zu dürfen, falle ihr der Abschied nicht mehr ganz so schwer.

Alles wird die Staatsoper wohl nicht mehr verkaufen können. Gut erhaltene Strickwaren oder Wintermäntel werden darum an Hilfsbedürftige weitergegeben. Der Rest wandert zurück in den Fundus. „Weggeschmissen wird hier nichts“, sagt Fundes-Chefin Kirchhof und verrät ein Geheimnis: Nach Absprache sei es jederezeit möglich, in den Fundus zu kommen und etwas zu kaufen. „Wenn wir die Rokoko-Hemden für zwölf Euro anbieten, ist das weniger, als man da draußen für ein T-Shirt zahlt.“

Nur wenige verlassen den Fundus im Kronsaalsweg ohne eine weiße Plastiktüte. Auch wenn sie vielleicht nicht das schöne, blaue Kleid aus dem „Sommernachtstraum“ erworben haben, gehen sie mit dem Gefühl nach Hause, etwas Einmaliges zu tragen.

Hamburgische Staatsoper, Tel. 356868