Wunschlos glücklich

Noch 46 Tage bis Weihnachten. Die härteste Einkaufszeit des Jahres naht. Besser, Sie machen sich schon einmal Gedanken. Unser Kolumnist MATTHIAS URBACH hat schon mal für Sie vorgedacht

Das „ideale Geschenk“ ist ein Sack Zement. Behauptet Oxfam UK, eine britische Hilfsorganisation. Menschen in unterentwickelten Ländern sollen sich zu Weihnachten über ein Paket Baustoffe besonders freuen.

Was aber muss meine Frau auspacken, um strahlende Augen zu bekommen? Womit mache ich meiner genügsamen Mutter eine Freude? Was hat Bestand vor den kritischen Augen meiner Schwiegereltern?

Schenken ist eine heikle Angelegenheit. Schließlich hat hierzulande jeder schon alles. Von einer ausreichenden Altersvorsorge mal abgesehen.

Und so wird das Präsent zur Prüfung: Was muss ich ihnen schenken, damit sie sich geliebt fühlen?

Nicht, dass ich Weihnachten nicht mag. Mir würde es aber genügen, wenn ich unterm Baum ein paar Zimtsterne entdecke und etwas Lebkuchen. „Na, deine Augen möchte ich sehen!“, spottet meine Frau, als ich ihr derart bescheiden gegenübertrete. Gut, vielleicht die CD einer netten Band, die ich noch nicht kenne. Oder einen Gutschein über einen Parabelflug mit der Boeing 727 ins All.

Okay, auch ich packe gern Geschenke aus. Wenn sie genauso sind, wie ich es mir wünsche. Zum Geburtstag ist das herrlich. Zu Weihnachten kommt es zu einem hohen Preis: Ich muss etwas genauso Tolles zurückschenken. Und so brüte ich schon Wochen vor Weihnachten über den Charakter meiner Mitmenschen.

Und wenn ich am Ende doch nur Socken bekomme? Erbarmen.

Der einfachste Weg aus dem Dilemma wäre ein Nichtangriffspakt. Als wir das erste Mal ausmachten, uns nichts zu schenken, war ich noch so dumm, tatsächlich nichts zu schenken. „Ist doch nur eine Kleinigkeit“, sagte meine Mutter und sah mir beim Auspacken zu. „Damit es unterm Baum nicht so leer aussieht.“

Strategie Nummer zwei wäre, schlicht nach den Wünschen zu fragen. „Ach, ich brauche doch nichts mehr“, sagt meine Oma dann. „Dass wir alle gesund bleiben“, meint meine Mutter.

Strategie Nummer drei: Selber basteln. Fotokalender sind der Klassiker. Wenn man Kinder hat, freut sich der Rest der Familie sicher über originelle Videozusammenschnitte der ersten fünf Lebensjahre. Hat man allerdings kleine Kinder, fehlt die Zeit dazu.

Strategie Nummer vier wäre, im Namen des Beschenkten etwas an Hilfsorganisationen zu spenden. Einige Verbände stellen Urkunden über solche Spenden aus, die man dann weihnachtlich verpacken kann. Oxfam UK bietet unter www.oxfamunwrapped.com auch Zement, Moskitonetze oder Hühner für Afrika zur Auswahl. Nachteil: Spendet man ungefragt, sieht es so aus, als wolle man mit seinem Gutmenschentum prahlen – und der angeblich „Beschenkte“ geht leer aus.

Strategie Nummer fünf: Man schenke etwas, was so cool oder exklusiv ist, dass der Empfänger sich schon deshalb gemeint fühlt, weil es erstrebenswert ist, jemand zu sein, dem man einen kleinen, mit Trüffelpilzen versetzten Baumtrieb schenkt, den man im eigenen Garten pflanzen kann, um die teuren Leckerbissen selbst zu ziehen. Oder das „Antquarium“, ein gläsernes Gefäß, bei dem man zuschauen kann, wie ein paar Ameisen über mehrere Monate einen ganzen Staat in ein von der Nasa entwickeltes durchsichtiges Gel hineinkauen. Nicht mal teuer.

Strategie Nummer sechs: Man verschenkt die Knüller der Vergangenheit. Das Problem: War die Freude echt? Sammelt Silvia immer noch alles, was mit Krokodilen zu tun hat? Oder ist ihre Sammlung nur so groß, weil alle erleichtert das Kapitel Geschenke für Silvia abgeschlossen haben? Mein Schwiegeropa bekommt seit 30 Jahren von sämtlichen Verwandten Ingwerstäbchen zu Weihnachten, obwohl keiner ihn jemals dabei beobachten konnte, wie er eines aß.

Ich fürchte, es nützt alles nichts: Ich werde Mutter, Schwiegeropa und Tante wie jedes Jahr genau beobachten müssen. Unauffällig Schränke kontrollieren, Haushaltsgeräte auf Funktionstüchtigkeit testen und das Gespräch gezielt steuern: „Also Mama, der Helmut Lotti ist doch gar nicht übel, oder?“ Und hoffen, dass ihnen das Präsent beim Auspacken nicht aus der Hand fällt wie ein Sack Zement.

Fazit: Es bleibt schwierig.