Die Herrin der Affen

Desirée Nick ist die „Dschungelkönigin“ des RTL-Dschungelcamps. Sie wäre es auch gewesen, wenn die Zuschauer sie nicht gewählt hätten

Desirée Nick hat sich nicht dem Dschungel unterworfen. Sie hat das Format gesprengt„Ich bin doch die Normalste von allen hier“, behauptete Nick. Und sie hatte Recht

VON MARTIN REICHERT

Die Travestie ist eine Dichtungsart, die ein anderes Literaturwerk dadurch verspottet, dass sie – im Gegensatz zur Parodie – den Inhalt beibehält, ihm aber eine andere, nicht gemäße Form gibt. Die Travestie ist eine Verkleidung mit enthüllender Wirkung, und Desirée Nick wirkt eigentlich wie ein Mann, der sich als Frau verkleidet hat, allerdings sind die Brüste echt, der durchtrainierte, zäh wirkende Körper ein weibliches, gebährfähiges Original. Auf ihrer Homepage www.desiree-nick.de wirbt eine Firma für „natürlich straffe Busen“. „La Nick“ hat einen Sohn und sie ist kein Transvestit, sondern eine Westberliner Trümmerfrau, die sich an einem Tiefpunkt ihres Lebens geschworen hat, sich für nichts zu schade zu sein, wenn es nur ihrer Show-Karriere nutzt, die einst in der Berliner Homosexuellen-Szene begonnen hatte – ihr Handwerk hat sie nach eigenen Angaben auch von „verbitterten alten Transen“ gelernt. Wer dort in die Schule geht, lernt einen Witz, der verletzend ist. Und in seltenen Augenblicken den Blick auf die eigene Verletztheit freigibt. Desirée Nick, die Dschungelzicke, scheint alles und jeden zu hassen, die Homosexuellen mag sie, und sie mögen „La Nick“, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit erklärte der taz letzte Woche auf Anfrage: „Ich kenne Frau Nick persönlich und wünsche ihr alles Gute.“ Die beiden sind befreundet, und die guten Wünsche können durchaus als „Daumen drücken“ interpretiert werden. Schließlich ist Nicks Erfolg auch ein Erfolg Berlins. „Beware of the Schnauze“, Nick ist ein Charlottenburg-Export, regionalüblich mit großer Klappe ausgestattet. Und einfach rotzfrech.

So wurde sie zur Dschungelkönigin, nicht von Gottes Gnaden, sondern ganz und gar gnadenlos. Gemeuchelt durch Nicks spitze und daher wohl an die Zähne stoßende Zunge blieb zahllose abgehalfterte Prominenz auf der Strecke – als Erste musste eine, jawohl, schamhafte Porno-Darstellerin dran glauben – und zuletzt das Fernseh-Format „Dschungelcamp“, das von der Kabarettistin mittels Dauer-Performance in Grund und Boden gestampft wurde. Bei ihrer Vorgängerin in der ersten Staffel, der Kabarettistin Lisa Fitz, war es umgekehrt gewesen: Das Format hat sie beschädigt.

Verheulte Männer und bodenlos langweilige Frauen in einer grotesken Versuchsanordnung im australischen „Dschungel“, die den sadistisch veranlagten Fernsehvoyeur auf dem heimischen Sofa bedienen soll – ein schlechter Witz, zumal kommentierend begleitet von den schlechten Witzen des Moderatoren-Duos Dirk Bach und Sonja Zietlow, der Lynndie England des deutschen Fernsehens. Desirée Nick hat dennoch mitgespielt, sie hat den Inhalt des Formats offiziell beibehalten, und so wie sie eine Frau ist, die Weiblichkeit so zu überzeichnen versteht, dass jede Drag-Queen neidisch wird, hat sie dem Camp-Teilnehmerdasein eine Form verliehen, die nicht gemäß ist. Die Kandidaten sollen schließlich erniedrigt werden, sich zum Affen machen, sollen dafür bestraft werden, dass sie in jenem Rampenlicht stehen dürfen (oder durften), das dem Zuschauer für gewöhnlich versagt ist. Die Nick hat ihre Mitinsassen fertig gemacht, sie selbst hat sich jedoch ihre Würde bewahrt: Sie verspeiste Känguru-Hoden mit der Grandezza einer Trash-Königin, die zum Schafott geführt wird, wühlte in schleimigem Schlamm nach Sternen, als handele es sich um einen Grabbeltisch von Hermès. Zuletzt, als krönender Abschluss gewissermaßen, stieg sie auch noch in eine Schlangengrube. Sie bestand auch diese Prüfung mit Bravour: „Die Schlangen haben mich als eine der ihren akzeptiert.“ Keine Spur des Leidens – von der kleinen Panikattacke im „Daniel Küblböck Gedächtnisaquarium“ (Nick) abgesehen. Eine Frau, die sich in ihrer Bühnen-Show „Hängetitten DeLuxe“ ganz und gar nackig gemacht hat, seelisch wie körperlich, die auf der Bühne Muttermilch abgepumpt hat und sich von ihrem Pianisten künstlich mit „Welfen-Samen“ hat inseminieren lassen – der Vater ihres Kindes ist Heinrich Prinz von Hannover, der Bruder von Ernst-August –, hat keine Angst vor so genannten Grenzüberschreitungen, mit denen RTL Quote machen möchte. Desirée Nick ist eine Grenzüberschreitung.

Die vorübergehende Liaison der Diva aus eigener Kraft mit dem Hochadel war nur eine weitere Station in einem bislang lieber ungewöhnlich gelebten Leben: Nach abgebrochener Karriere im klassischen Ballett, sie war mit 1.82 Metern einfach zu groß, tanzte sie im Pariser Lido, kehrte zurück nach Berlin, um Religionslehrerin zu werden. Bis man ihr, es war nur eine Frage der Zeit, die Lehrerlaubnis entzog und sie nach London ging, um eine Schauspielausbildung zu machen. Als Schauspielerin zu sehen war sie unter anderem in Rosa von Praunheims „Neurosia“ als bizarre Journalistin, aber auch in „Aimée und Jaguar“. Von Praunheim, ein Liebhaber exzentrischer Frauen, charakterisiert sie so: „Sie ist phantastisch auf der Bühne, sie hat Humor und eine ungeheure Phantasie, außerdem traut sie sich etwas, hat auch Mut zur Hässlichkeit.“ Alles Eigenschaften, die von schwulen Männern geschätzt würden, für die anderen hingegen sei Nick „ein Schreckgespenst, eine Xanthippe, die man keinem an die Seite wünscht. Männer finden die nicht gut – und Frauen finden die auch Scheiße, eine Zicke eben.“ Eine Einschätzung, die sie sich auch im Camp bestätigt hat: Männer und Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Vielleicht liegt es an Nicks gleichsam penetrierender Stimme.

Dschungelzicke, Giftnatter, Krawallnudel, Lästerzunge – die Nick polarisiert, und das ist gut für jemanden, der auf eine eigene TV-Show spekuliert und bundesweit wahrgenommen werden möchte, über den Berliner Tellerrand hinaus. „Das Dschungelcamp wird sie aufwerten, denn sie hat ihre Rolle perfekt gespielt. Sie hat im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern nichts zu verlieren, sie kann nur gewinnen“, findet Rosa von Praunheim. Auch Nicks Berliner Kollege Kurt Kroemer, Nachwuchs-Kabarettist („Die Kurt Kroemer Show“) glaubt, dass es für Désiree Nick „jetzt erst richtig anfängt“. Kroemer zur taz: „Die Nick macht ihre Sache richtig gut. Außerdem finde ich, dass diese Leute im Camp es einfach verdient haben, eins auf die Fresse zu kriegen. Dafür hat RTL sie doch eingestellt. Das ist allemal besser als bei Big Brother, wo über Minderheiten hergezogen wird.“ Oder hat jemand Mitleid mit Carsten Spengemann, Harry Wijnvoord, Heydi Nunez Gomez und wie sie alle heißen? Wohl kaum.

Die Nick hat ihren Job gut gemacht: Sie hat RTL vorgeführt, ohne dass dies in Köln irgendjemandem aufgefallen wäre: Sie hat dem Sender im wahrsten Sinne des Wortes die Schau gestohlen, indem sie das Dschungelcamp als kostenlose Bühne missbraucht hat. Einziger Darsteller: sie selbst, und das „ohne mal eine Pause zu machen, damit das Publikum einen Kaffee trinken oder aufs Klo gehen kann“, wie Campgenossin Isabell Varell entnervt kritisierte. Beim Fernsehen tendiert man eben – vom Kabelhelfer bis zur Intendanz – schon mal zu kollektiver Selbstüberschätzung. Die Wirkung des tatsächlichen Giftes der Desirée Nick wird sich schleichend entfalten, denn nach ihr kann es kein erfolgreiches Dschungelcamp mehr geben, mangels geeigneten Personals. Und falls doch, wird das Lager eine Stätte der sukzessiven Selbstzerstörung der deutschen Fernsehprominenz in den Kategorien B, C und D. Für beide Fälle gebührte Desirée Nick das Bundesverdienstkreuz – gegebenenfalls aus der Hand von Klaus Wowereit. Einen weiteren Grund für die Verleihung eines vaterländischen Verdienstordens hat die Kabarettistin selbst angeführt: „Es ist schwer, vierzehn Tage rund um die Uhr Desirée Nick zu sein.“ Unbesehen.

„Ich bin doch die Normalste von allen hier“, hatte die Dschungelkönigin inmitten ihrer sie anfeindenden Untergebenen behauptet. Und vielleicht stimmt das sogar, denn Nick ist einfach queer, Normalzustand in einer Welt, die schief in den Angeln hängt. Die Zuschauer haben dies erkannt.