themenläden und andere clubs
: Warum sind wir so unbeliebt, fragt betrübt der Berliner

In den letzten Wochen hatte der goldene Oktober ja furchtbar übertrieben und das Novemberwetter arg hinausgeschoben. Deshalb machte sich die Verfasserin dieser Kolumne zu einer kleinen Herbstreise durch die Bundesrepublik auf.

Der Reisende aus Berlin tut ja gut daran, anderer Städte extrem zu loben und die eigene tendenziell herunterzuspielen: „Berlin-Downsizing“ ist das Gebot der Stunde. Über kleinere Orte wie Marburg, das pulsierende Universitätsstädtchen an der Lahn, sollten wir Großstädter uns nicht arrogant erheben: Hier kann man die bunten Wälder loben und anmerken, dass eine solche Intensität der Laubverfärbung in Berlins grauer Städte Mauern gar nicht erfahrbar ist. Voll geflasht von dem Gelb, Rot, Grün, Burgund und Orange fährt man weiter nach Frankurt. Sucht man dort um halb zwei nachts nach einer geöffneten Gaststätte, wird man von ortskundigen Szenetypen in eine urige Taxifahrerkneipe jenseits des Mainufers geführt. An dieser Stelle sollte man aufkommende Flashbacks in bezug auf die triste Jugend in der Provinz unterdrücken und stattdessen demütig anmerken: In Berlin ist es wochtentags um diese Zeit auch recht schwierig.

In München überrascht uns ein neues „Club Disneyland“, nachdem hier der altehrwürdige „Kunstpark Ost“ bereits Maßstäbe geschaffen hatte. Wie Club-Disney funktioniert? Ein brachliegendes Areal, gern in Güterbahnhofnähe, wird zum Club – Themenladen – Erlebnispark: Vom urigen Restaurant zur schicken Cocktailbar, vom Irish Pub mit Pappmacheefassade zur Szenedisco ist hier alles ganz praktisch auf einem umzäunten Gelände aneinander gereiht. Da schämen sich die aufrechten Münchner natürlich ein bisschen dafür, da sollte man nicht den Finger in die Wunde legen. Hilfe statt Häme: Könnte man im Münchner Clubghetto nicht durch fehlende Schilder und versteckte Eingänge das illegale Clubleben im Berlin der 90er simulieren und so die Erlebnisquote steigern? Bei aller höflichen Zurückhaltung müssen wir trotzdem immer wieder erfahren, dass Berlin ein Reizthema ist. Wie der moderne Amerikaner fragt sich der Berliner: Warum sind wir so unbeliebt?

Als der berühmte Showstar Rocko Schamoni letzte Woche anlässlich seines Galakonzerts in Leipzig das Publikum nach der aktuellen Hassstadt befragte und ihm aus dreihundert Kehlen ein glühendes „Berlin“ entgegenschallte, konnte er seine „Polonaise des Hasses“ nur mit Mühe und Not nach Wuppertal umlenken, so tief sitzen da die Berlin-Animositäten!

Dabei schneidet Leipzig in unserem Herbstreise-Städtevergleiche sehr gut ab: Trendy People, Szeneviertel, politisches Bewusstsein und preiswerte Getränke. An zweiter Stelle des Städtecontest müssen wir mit blutendem Herz leider die Stadt Stuttgart stellen. Wer hätte gedacht, dass in der verhassten Schwabenmetropole, im biederen Benztown, so viel abgeht!! Auf einem überlebendigen Platz mitten in der Stuttgarter Fußgängerzone tut sich eine Clubhäufung auf, die ihresgleichen sucht: Links voll die krassen Gangsterrapper-Türsteher, rechts voll der Prolldiscozauber! Nie gesehene Turnschuhe, überlebensgroße, weißlederne Pretty-Woman-Stiefel! Hier die große schwarze Glam-HipHop-Community, dort Jugendliche aus dem Umland, die sich in lockeren Formationen auf der Suche nach Stress auf den breiten Boulevards trollen. Aus arabischen HipHop-Imbissen dringen 50-Cents-P.I.M.P.-Gesänge auf die Straße, weiße Stretch- Limousinen cruisen den Theodor-Heuß-Damm hoch und runter. Geblendet vom Glanze Stuttgarts führt uns die Herbstreise mit dem neuen Grundgefühl der Bescheidenheit zurück ins trübe, menschenleere Berlin.

CHRISTIANE RÖSINGER