Schräg zum Universum

Rebellen mit karierter Mütze und Bommel: Eine Lesung des Historikers Eric Hobsbawm

Der alte Herr auf dem Podium hebt die Stimme und 350 Zuhörer im Saale lauschen: „Man sagt, ich sähe der Zukunft pessimistisch entgegen. Ich glaube, es ist mit der Welt im 20. Jahrhundert trotz aller Katastrophen aufwärts gegangen. Wenn die Menschheit durch das 20. Jahrhundert gekommen ist, schafft sie es auch im 21. Jahrhundert.“

Eric Hobsbawm war am Mittwoch ins ddb-Forum nach Berlin gekommen und stellte seine vor kurzem in deutscher Übersetzung erschienene Autobiografie vor (Eric Hobsbawm, „Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert“, Hanser-Verlag, 24,90 Euro). Bekannt wurde der Historiker aus Cambridge durch das inzwischen zum Klassiker avancierte „Zeitalter der Extreme“. Darin charakterisiert Hobsbawm das „kurze“ 20. Jahrhundert zwischen Erstem Weltkrieg und Untergang der Sowjetunion als „Katastrophenzeitalter“. Als Historiker verfolgt Hobsbawm einen materialistischen, universalgeschichtlichen Ansatz, dessen große Linien sich aus einer Kulturgeschichte der Unterdrückten und Modernisierungsverlierer ableiten. Seine Biografie möchte der 86-Jährige nun als individuelles Komplement, als „B-Seite“ zu seinem zeithistorischen Werk verstanden wissen. Als Schüler erlebte er in Berlin den Aufstieg Hitlers und trat als junger Mann der englischen KP bei.

Flankiert wurde der Autor an diesem Abend durch hochkarätige Besetzung: dem Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker sowie dem Doyen der deutschen Sozialhistorikerzunft, Hans-Ulrich Wehler. Passend zum Anlass hatte Letzterer gerade den vierten Band seiner „Deutschen Gesellschaftsgeschichte 1914–49“ herausgebracht. Noch passender die Banderole, die das Werk in Anspielung an Hobsbawm zierte: „Hans-Ulrich Wehler über das deutsche Zeitalter der Extreme.“ So durfte man durchaus neugierig sein, welche Einsichten in die Zeitläufte das Podiumsgespräch der beiden Historiker vermitteln würde. Hobsbawm: „Man darf Kommunismus als Weltbewegung, als Ideal, nicht mit der Kadaverdisziplin des Ostblocks verwechseln. Die Welt war noch nicht frei … (leise) … ist es noch nicht.“ Wehler unterbricht: „Marx war ein weit denkender Linksintellektueller, der einem beibringen konnte, dass man im System dachte. Warum beharrst du auf dem Wort Kommunist, obwohl du orthodoxe Positionen kritisierst? Warum dieses trotzige Bestehen darauf?“ Hobsbawm: „Aus Trotz – (Gelächter im Saal) – aus Stolz. Die Kritik am Kapitalismus, die bleibt … berechtigt.“ Ein Paar Hände regt sich zum Beifall und verstummt gleich wieder. Bei aller Ehrerbietung – marxistische Positionen haben es in Berlins neuer Mitte schwer.

Dennoch machte Schleichers Buchhandlung aus Dahlem am Büchertisch gute Geschäfte. „Die englische Ausgabe kostet nur fuffzehn fuffzich. Zehn Euro billiger als die deutsche.“ Der klammere Geldbeutel scheint die deutschen Lesegewohnheiten auf erfreulich internationalem Kurs zu halten.

Eine ergraute Leserin legt eine vergilbte Ausgabe von Hobsbawms „Sozialrebellen“ („Primitive Rebels“, 1959) zum Signieren vor: „Das war für uns doch mal wichtig“, zwinkert sie dem Autor fast ein wenig verschwörerisch zu. „Ja, ja, danke,“ erwidert der zum hundersten Mal und unterschreibt. Dann ist der Saal so gut wie leer. „Und vor allem nicht sterben“, ruft Hobsbawm einem Bekannten zum Abschied zu. In Begleitung Wehlers verschwindet er auf der nächtlichen Friedrichstraße; Hobsbawm verschmitzt mit karierter Schiebermütze, Wehler mit gestricktem Bommel auf dem Kopf. Auch die Kultur der Kopfbedeckung in eine Gesamtbetrachtung des Abends einfließen zu lassen, wäre sicherlich ganz in Hobsbawms Sinne. JAN-HENDRIK WULF