Identität ist machbar

Sie waren die Ersten, die weibliche Rollenklischees verließen: Konrad Heidkamps „Sophisticated Ladies“ porträtiert 15 Künstlerinnen, die sich in den Sechzigern und Siebzigern selbst erfanden

von SUSANNE MESSMER

Sie waren die Ersten. Wer sich heute vornimmt, berühmt zu werden, und ein bisschen rückwärts tastet, der kommt nicht um sie herum. Tina Turner und Yoko Ono, Laurie Anderson und Pina Bausch: Sie waren in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Ersten, die anders waren als alle davor, die nicht mehr nur ernst genommen werden wollten für das, was sie waren, sondern für das, was sie taten.

Nimmt man den Titel von Konrad Heidkamps Porträtsammlung „Sophisticated Ladies“ ernst, so ist man zunächst einmal auf dem falschen Dampfer. Es sind mitnichten Verfeinerung und Eleganz, die den kleinsten gemeinsamen Nenner der 15 von ihm porträtierten Frauen bilden, die heute zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt sind. Der Verdacht, dass es sich bei seinem Buch also auch um eine altväterlich schulterklopfende Hommage an die letzten Diven handeln könnte, die immer Contenance bewahrten, wird sofort widerlegt: Patti Smith, die wie ein Kerl auf die Bühne spuckt – eine gepflegte Dame? Nico, die ihren Sohn anfixte – kultiviert?

Der heimliche rote Faden durch Konrad Heidkamps Buch, den man so noch nicht hatte und der so manchen Erkenntnisblitz verursacht, ist ein ganz anderer. Er ist die erstaunliche Entdeckung, dass viele Frauen dieser Generation im Showbiz zwar traditionelle Rollenklischees an den Nagel hängten, dass sie sich zwar gegen ihr Geschlecht stemmten, dass sie sich aber dennoch nicht als Teil einer Bewegung sahen. Trotz ihrer revolutionären Haltung sahen sie sich als Individuen, die taten, was sie wollten, sich über ihre Arbeit definierten, aber auch mal neben ihren Männern verschwanden und sich selten als Feministinnen sahen.

Das ist vor allem verblüffend, da viele junge Frauen, die heute die Welt erobern, sich wieder feministisch gerieren und dabei auf Frauen wie die bei Heidkamp beschriebenen berufen – Frauen aus der Generation ihrer Mütter. So macht es auch gar nichts aus, dass Heidkamps Buch nur aus lose gereihten Würdigungen besteht, die nicht gewaltsam in eine Richtung getrimmt sind, dass viele wichtige Künstlerinnen wie Janis Joplin, Debbie Harry oder Aretha Franklin fehlen. Im Gegenteil: Die assoziative, ungefähre Art, mit der Heidkamp erzählt, passt gut zur Beiläufigkeit, mit der diese Frauen die Welt auf den Kopf stellten.

Im Wesentlichen, das zeigt das Buch vor allem, entwickelten Frauen, die in den Siebzigerjahren groß rauskamen, drei Methoden, die Grenzen ihres Geschlechts zu überschreiten. Die einen, Patti Smith, Jane Birkin, aber auch Joni Mitchell, die man als Tomboys bezeichnen könnte, kultivierten ihre androgyne Schlaksigkeit und versuchen so bis heute, über das fünfzigste Lebensjahr hinaus, die Frauwerdung auf später zu verschieben. Konrad Heidkamp erzählt sehr schön von Jane Birkin, die als Mädchen „die Sachen ihres Bruders trug“ und Angst hatte, „wegen offensichtlicher und erwiesener Weiblichkeit aus der Clique ausgeschlossen zu werden“. Joni Mitchell hätte, wäre es nach ihren Eltern gegangen, ein Junge werden sollen, und später einmal ließ sie „einen glühenden Verehrer stehen, weil der sie begeistert über ihre – nur weibliche – Konkurrenz erhob“.

In den Sängerinnen Marianne Faithful und Nico beschreibt Heidkamp, wie andere Frauen dieser Generation ihre Weiblichkeit sehr viel destruktiver bekämpften. Beide waren sie wegen ihrer femininen Schönheit ins Rampenlicht geraten, die Faithful als „Verführte und Verworfene“, Nico als die rätselhafte Somnambule. Beide verwarfen ihr Image, wurden Junkies, hungerten sich durchscheinend.

Und auch die dritte Methode, eindeutigen Zuschreibungen zu entkommen, indem man den männlichen Blick spiegelt und mit Identitäten spielt, auch diese dritte Methode hat nicht Madonna, die Meisterin von Camp und Maskerade, erfunden, sondern Frauen, die heute um die fünfzig sind: Frauen wie Cher, Schauspielerinnen wie Catherine Deneuve und Charlotte Rampling, die Heidkamp ebenfalls in seinem Buch porträtiert.

Dass er sich in Zeiten wie diesen nicht so sehr für dieses Modell erwärmen kann, kann man verstehen. Das Versprechen von Pop, dass sich jeder neu erfinden kann, ist zu einem einzigen, unerträglichen Erfolgsdruck zusammengeschnurrt. Und trotzdem: Nicht dass sie „sophisticated“ waren, wie Konrad Heidkamp immer wieder betont, dass sie sich treu blieben und ehrlicher, echter sind als viele Popstars heute, ist das Interessante an seinen Frauen. Viel interessanter ist, dass sie die Ersten waren, die sich ihre Images selbst schufen und das, was sie waren, zu etwas Machbarem machten. Dass es sich mit diesen Kämpfen im Gedächtnis und im Gesicht dann auch würdevoller altern lässt, versteht sich von selbst.

Konrad Heidkamp: „Sophisticated Ladies. Junge Frauen über 50“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003, 279 S., 24,90 €