lexikon der globalisierung
: Was bedeutet demografischer Wandel?

Die demografische Entwicklung, d. h. die Veränderung der Bevölkerungs- und der Altersstruktur, kann nur bis zu einem bestimmten Grad wissenschaftlich exakt prognostiziert werden. Deshalb ist manche „bevölkerungswissenschaftliche“ Prognose eher Prophetie als exakte Berechnung. Mit dieser Form der Mathematik bzw. der Statistik wird gezielt Politik gemacht. Dabei geht es nicht nur um objektive Daten und Fakten, sondern vor allem um deren subjektive Einschätzung.

Was aus der Sicht eines Betroffenen positiv sein kann, zum Beispiel eine steigende Lebenserwartung, stellt aus der Sicht neoliberaler Ökonomen einen negativen Faktor als Belastung des Wirtschaftsstandorts durch das Steigen der Rentenversicherungsbeiträge und der der gesetzlichen Lohnnebenkosten dar.

In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint die demografische Entwicklung vorwiegend als Krisen- bzw. Katastrophenszenario, das zu einer Anpassung der sozialen Sicherungssysteme (Kürzung von Leistungen, Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen und Privatisierung von Risiken) zwingt. Meist wird die demografische Entwicklung dramatisiert, denn auf diese Weise legitimiert sie den Um- und Abbau des Sozialstaats, Rentenkürzungen und andere Maßnahmen. Demografie fungiert dabei als Mittel der sozialpolitischen Demagogie.

Die Höhe der Renten hängt aber nicht von der Biologie, sondern der Ökonomie und der Politik ab. Entscheidend ist, wie viel gesellschaftlichen Reichtum eine Volkswirtschaft erzeugt und auf wen er verteilt wird. Bei einer stagnierenden und künftig sogar sinkenden Bevölkerungszahl müsste im Falle eines weiter nicht mehr explosionsartig, aber recht kontinuierlich wachsenden Bruttoinlandsprodukts für alle genug da sein.

(Arbeits-)Produktivität, Bruttoinlandsprodukt und Volkseinkommen wachsen trotz der Veränderung des Altersaufbaus. Wenn die deutsche Gesellschaft will, kann sie den demografischen Wandel sowie seine Folgen solidarisch bewältigen, denn sie ist so reich wie nie. Was fehlt, ist eine soziale Umverteilung von oben nach unten, die der Bekämpfung sowohl von öffentlicher wie von privater Armut dient. CHRISTOPH BUTTERWEGGE