„China kann Umweltprobleme nicht einfach exportieren“

Greenpeace-Chef Gerd Leipold sieht Anzeichen für ein neues Umweltbewusstsein. Das Land darf aber auf keinen Fall das westliche Entwicklungskonzept kopieren

taz: Trotz eines um ein Vielfaches geringeren Pro-Kopf-Einkommens plant China strengere Benzinverbrauchsauflagen für Pkws als die USA. Westliche Umweltschützer aber sehen in China in aller Regel den größten anzunehmenden Umweltsünder – mit dem in einigen Jahren absehbar höchsten CO 2 -Ausstoß in der Welt. Was ist China für Sie: Katastrophen- oder Zukunftsland?

Gerd Leipold: China hat keine Wahl: Es muss Zukunftsland werden. Dafür gibt es erste positive Anzeichen. Nehmen Sie die fortschrittlichen Umweltgesetze des Landes wie etwa zum Benzinverbrauch. Die Regierung hat mit ihrer Umweltgesetzgebung nicht gewartet, bis die Bevölkerung sie einfordert. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass es hier wenig Öffentlichkeit und keine Demokratie gibt. Aber wenn man China heute, sagen wir, mit dem Deutschland der Sechzigerjahre vergleicht, so ist das Umweltbewusstsein in der Politik hier bereits sehr viel ausgeprägter. Die wirtschaftliche Dynamik erlaubt kein Warten.

China hat immer noch einen Kohleanteil von 70 Prozent in der Energiebilanz. Umweltgesetze werden vielerorts nicht beachtet. Verschlimmert sich die Lage nicht dramatisch?

Bei aller Hoffnung, die ich aufgrund der Dynamik auch hege, ist das so. Noch sieht es so aus, als würde man das westliche Entwicklungskonzept einfach kopieren. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Im Westen hat man die Produktion über einen langen Zeitraum schrittweise umweltverträglicher gestaltet und zugleich Umweltprobleme einfach exportiert. Das wird für China nicht möglich sein. Einerseits aufgrund der Größenordnung der Umweltschäden, die heute entstehen. Andererseits weil es keine Teile Asiens gibt, in die sich Umweltprobleme leicht exportieren lassen. Deshalb muss China seine Dynamik anders nutzen, indem es etwa den Ausstieg aus der Kohle als Sprung in die Nutzung erneuerbarer Energiequellen plant. Doppelstellige Wachstumsraten für die Windenergienutzung sind in China nicht unvorstellbar.

Wie soll sich China darauf besinnen, wenn der Westen mit dem Beispiel seiner Autokonzerne, die hier gewaltig investieren, in eine ganz andere Richtung drängt?

Man muss natürlich vorsichtig sein, wenn man den Chinesen sagt, dass sie auf dem falschen Weg sind. Wir haben es im Westen auch nicht geschafft, mit einem geringeren Verbrauch von Naturressourcen zu leben. Zugleich aber dürfte den Chinesen leicht einsichtig sein, dass in westlichen Konzernzentralen nicht jeden Tag an ihre Zukunft gedacht wird – und die führt bei ungehindert steigendem CO2-Ausstoß eines Tages in die Katastophe.

Denken die Chinesen heute schon so weit?

Wir haben mit Greenpeace in China erste Erfolge gehabt. Der Versuch westlicher Konzerne, hier massiv gentechnische Produkte einzuführen, ist vorerst gescheitert. Auch weil wir dabei gut mit den chinesischen Behörden zusammengearbeitet haben.

Wie kann Greenpeace mit seinem aggressiven Kampagnenstil im kommunistischen China überhaupt operieren?

Wir sind eine konfrontative Organisation, aber in China sollten wir uns besser als dialektische Organisation begreifen. So weisen wir in China auf die Gesundheitsfolgen beim Recycling von Elektronikabfällen hin. Wir zeigen auf, welche negativen Folgen für die Umwelt der Autoverkehr hat. Die Chinesen wissen heute noch nicht, welcher Preis der Wohlstand mit sich bringt. Eine erfolgreiche Umweltpolitik in China wird nur möglich sein, wenn buchstäblich hunderte Millionen von Leuten sie wollen und das Bewusstsein da ist, dass auch jedes Auto seinen ökologischen Preis hat. Da können unsere Methoden nur helfen.

Sie meinen, die KP braucht Greenpeace zur Umsetzung ihrer Gesetze?

Auch die chinesische Regierung hat eingesehen, dass Gesetze nichts nützen, solange die Bevölkerung sie nicht versteht.

INTERVIEW: GEORG BLUME