Der glückliche Bauer

Funke hat noch immer einen Dienstwagen – vom WasserverbandAch, Berlin: „Das ist wie eine permanente Brunft“, sagt Funke rückblickend

AUS FRIESLAND BARBARA BOLLWAHN

Ab und an blickt er sehnsüchtig auf den Aschenbecher vor sich, in dem eine halb gerauchte Zigarre liegt. Die musste er ausmachen. In dem Saal der Gaststätte in Oldenburg, wo die Landfrauen vom Weser-Ems-Verband ihr Novembertreffen abhalten, herrscht Rauchverbot. Auch das Stück Schwarzwälder Kirschtorte darf er noch nicht anrühren. Erst müssen die Landfrauen ihre plattdeutschen Lieder singen, erst muss die Vorsitzende das Kochbuch mit Landfrauenrezepten und ihre Tipps zur gesunden Ernährung vorstellen. Der Gastredner Karl-Heinz Funke wartet geduldig. Eine geschlagene Stunde sitzt der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister auf dem Podium. Er hat keine Eile.

Vor drei Jahren, am 20. November 2000, als die Angst vor BSE-verseuchtem Rindfleisch das ganze Land in Atem hielt, hatte er den folgenschweren Satz gesagt: „Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass deutsches Rindfleisch sicher ist.“ Vier Tage später wurde der erste BSE-Fall bei einem in Deutschland geborenen Rind festgestellt, von allen Seiten wurden ihm Versäumnisse vorgeworfen. Da erst kam Bewegung in den Minister. Eilverordnung zum Verbot der Tiermehlverfütterung, Ankündigung einer Förderung des Ökolandbaus, organisatorische Veränderungen im Ministerium. Zu spät. Als Bundeskanzler Gerhard Schröder eine „Abkehr von den Agrarfabriken“ forderte, hieß das: Abkehr von Funke.

Bei den Landfrauen erhebt sich Funke vom Podium und geht zum Rednerpult. Kaum steht er am Mikrofon, hat man das Gefühl, auf einer Familienfeier zu sein, wo der Lieblingsonkel für Stimmung sorgt. Die Damen kreischen, als er erzählt, warum er vorher nicht mitgesungen hat. „Der Lehrer an der Volksschule sagte zu mir, Karl-Heinz, du bist ein Brummer.“ Sie quieken, als er noch eins draufsetzt. „Wer weiß, ob aus mir nicht so was wie ein Bohlen geworden wäre!“ Als er ankündigt, dass es „vielleicht gut und richtig“ sei, „ein paar Sätze über die Landwirtschaft“ zu sagen, wird es still im Saal. Auch wenn wahrscheinlich mehr Landfrauen wissen, dass Dieter Bohlen ein Schlagersänger ist, als dass Funke mal Bundeslandwirtschaftsminister war, seine Seitenhiebe gegen Rot-Grün gefallen ihnen.

Funke macht sich lustig über Shampoo mit Eiern von frei laufenden Hühnern, über Tierschutzverordnungen, nach denen jede Kuh am Tag einige Minuten gestreichelt werden soll, und er beschwört das, was er schon immer gefordert hat, „eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft“: „Etwas anderes gibt es nicht!“ Den Namen seiner Nachfolgerin, der Grünen Renate Künast, nennt er in den anderthalb Stunden, in denen er Sprüche klopft und Geschichten erzählt, kein einziges Mal.

Die Landfrauen schenken ihm drei Flaschen Wein, und Funke fährt zum nächsten Termin. Diesmal nicht als Unterhalter, sondern als Fachmann. In Strückhausen bei Nordmilch, dem größten Arbeitgeber der Region, soll die Produktion von H-Milch und Eis ausgelagert werden. Strückhausen war Funkes Landtagswahlkreis, es geht um 400 Arbeitsplätze. Deshalb hat er auf einen für diesen Tag geplanten Jagdausflug verzichtet.

Statt einer Sau laufen ihm also Lokalpolitiker, Landtags- und Bundestagsabgeordnete vor die Flinte, von der SPD wie von der CDU. Drei Stunden lauschen sie seinen Ausführungen zu Milchquoten, möglichen Umstrukturierungen und Logistikproblemen. Funke genießt es, gefragt zu werden „Karl-Heinz, was können wir tun?“ Zwischendurch verspeist er, gerade so, als könne er allein das Werk retten, drei Portionen Eis.

Funke war Minister Nummer sieben aus dem Kabinett Schröder, der gehen musste. Der ihm nahe gelegte Rücktritt muss geschmerzt haben. Schließlich hat Schröder ihm viel zu verdanken. Funke hatte als Landwirtschaftsminister in Niedersachsen maßgeblich zu dessen Erfolg beigetragen, indem er bei den Bauern für ihn geworben hat. Und dann, als Schröder Kanzler wurde, hat er Funke den Posten des Landwirtschaftsministers in Berlin aufgedrängt. Weil es in der Bundestagsfraktion keine Agrarökonomen gab und Funke wusste, dass es viel zu ackern geben würde, lehnte er ab. Zweimal. Bis Schröder, beim dritten Anlauf, an sein inneres Pflichtgefühl appellierte. „Es kommt nicht nur darauf an, was du willst, sondern was du musst.“ So bekam Deutschland seinen ersten sozialdemokratischen Landwirtschaftsminister.

Ist Funke, der mit Stolz von sich sagt, der Minister mit den meisten Terminen gewesen zu sein, nach seinem Rücktritt in ein Loch gefallen? Entspannt und gut gelaunt sitzt der 57-Jährige am nächsten Morgen um acht am Frühstückstisch in der Wohnstube seines Bauernhauses in Varel. Umgeben von Kachelofen, Klavier, Spinnrad, Milchkannen und zwei Pfeifensammlungen. Er nimmt einen Schluck von seinem Tee und sagt in ruhigem Tonfall: „Nein, so was wie ein schwarzes Loch hat es bei mir nicht gegeben.“ Die ersten Einladungen zu Rednerauftritten erreichten ihn schon kurze Zeit nach seinem Rücktritt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Funke stopft eine Pfeife, lehnt sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und erzählt, wie froh er war, auf seinen Hof mit den 40 Pferden, den 40 Schlacht- und Zuchtrindern und den Hühnern zurückzukehren. Und „zu vernünftigen Menschen.“ Zu seiner zwölf Jahre jüngeren Frau und seinen drei Kinder von 17, 18 und 19 Jahren. „Die hab ich doch gar nicht aufwachsen sehn.“

Hegt er Groll gegen die Berliner Politiker, gegen den Kanzler? „Ich schätze ihn noch immer“, sagt er. „Auch wenn ich nicht alle seine Entscheidungen verstehe.“ Mehr sagt er nicht zu Schröder. Lieber erzählt er, dass Otto Schily, der Innenminister, „ein unheimlich feiner Kerl“, des Öfteren Grüße bestellen lasse. Und auch Michael Naumann, der zurückgetretene Kulturminister. Nein, sagt Funke, „ich gehöre nicht zu den armen Deubeln, die einen hohen Posten und Dienstwagen brauchen, um ihr Selbstwertgefühl zu heben“.

Na ja, einen Dienstwagen samt Fahrer hat Funke noch immer. Den stellt ihm inzwischen der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband, der fast eine Million Menschen mit Trinkwasser versorgt. Mit dem ist er auch zwischen Landfrauen und Nordmilch unterwegs gewesen. Fünf Monate nach seinem Rücktritt wurde er zum Vorstandsvorsitzenden des Wasserverbandes gewählt und wirbt dort neue Kunden.

Seinen Rücktritt hat er auch besser überstanden, weil er nie ganz nach Berlin gegangen ist. Den Ratsvorsitz im Stadtrat von Varel, den er 1997 übernommen hatte, behielt er auch als Bundesminister. Wann immer es ging, ließ er sich nach Friesland fahren, um die Geschicke der Lokalpolitik zu lenken oder um auf dem Geburtstag eines Schulkameraden wenigstens einen Schnaps zu kippen. So konnte ihm niemand vorwerfen, nun den großen Zampano zu spielen.

Einer der wenigen Sozialdemokraten in Varel, die sich kritisch zu Funke äußern, ist Hans Fabian. Er war von 1996 bis zur Rückkehr Funkes hauptamtlicher Bürgermeister im Ort. Bevor er diesen Posten übernahm, war das Amt ein Ehrenamt. Eins, das Funke 15 Jahre innehatte. Und offensichtlich fiel es ihm schwer, diese Aufgabe einem anderen zu überlassen. „Als ich anfing“, erzählt Fabian, „hat er versucht, mir Steine in den Weg zu legen.“ Fabian erzählt – ohne Groll – von Funkes Versuchen, ihn zu „vereinnahmen“ und seine Termine „auszuspionieren“. Dass die beiden sich bis heute höchstens die Hand geben, liegt sicher auch daran, dass Fabian in der Zeit, als Funke Minister war, ein Verfahren gegen ihn eingeleitet hatte. Wegen unerlaubten Bauens auf seinem Grundstück. Die Ermittlungen wurden zwar gegen Zahlung eines Bußgeldes eingestellt, doch der Wirbel war groß.

Jetzt ist Funke wieder ehrenamtlicher Bürgermeister in Varel. Er ist zwar nur der Stellvertreter des neuen hauptamtlichen Bürgermeisters. Doch der, ebenfalls Sozialdemokrat, lobt die Zusammenarbeit und ist froh, von Funkes Erfahrungen und Verbindungen zu profitieren. Fabian hat nicht wieder kandidiert. Er will den Ruhestand genießen.

Funke ist auch Kreistagsabgeordneter. Von einem Abstieg aus der Bundes- in die Regionalliga will Funke nichts wissen. „In der Kommunalpolitik erfährt man, wo es brennt“, stellt er klar. „Wenn die Oma nicht aus dem Haus kann, weil der Gehweg unbeleuchtet ist, kann ich doch nicht sagen, bleib zu Hause, wir haben Probleme im Kosovo.“ Wer sich geistig und seelisch total der Politik hingebe, der sei zu bedauern. Er sagt das in ruhigem Tonfall und pafft vor sich hin. Ach, Berlin. „Dort befriedigt sich jeder selbst.“ Ihm fällt noch ein besserer Satz ein. „Das ist wie eine permanente Brunft.“

Im Jahr von Funkes Rücktritt gab es 125 bestätigte BSE-Fälle in Deutschland. 2002 waren es 106. In diesem Jahr wurden bisher bei fast 1,9 Millionen untersuchten Rindern 39 Fälle von Rinderwahnsinn festgestellt, und der Rindfleischverbrauch ist nahezu genauso hoch wie vor der Krise. BSE ist für Funke ein Thema, das sich „widerlich opportunistische Politiker“ zu Eigen gemacht haben, um sich bei „hysterischen Menschen“ lieb Kind zu machen. Seine damalige Garantieerklärung habe auf einer Einschätzung des Tierseuchenamtes beruht. Und damit basta. „Das ganze Thema ist geradezu lächerlich“, sagt er. „Heiraten ist gefährlicher als BSE.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Harry Carstensen hatte damals als Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses des Bundestages Funke vorgeworfen, nicht Herr der Lage zu sein. Heute sagt er: „Wir alle haben damals BSE nicht ernst genug genommen.“ Er ist sich sicher, dass Funke der Rücktritt menschlich sehr getroffen hat. „Deshalb hält er jetzt so verbitterte Reden.“ Der Grünen-Politiker Wilhelm Gräfe zu Baringdorf ist enttäuscht von Funke. „Er trug die Hoffnung, dass nach langer Zeit der Verbindung zwischen Bauernverband und CDU andere Pflöcke eingeschlagen werden. Aber das hat Funke nicht gemacht.“ Dafür stellen die Grünen jetzt die Landwirtschaftsministerin.

Karl-Heinz Funke hat Renate Künast einmal auf der Grünen Woche gesehen. Aus einiger Entfernung. Das war ihm ganz recht. Er würde schon mit ihr reden, klar. „Es ist nur nicht so, dass ich mit dem Gedanken ins Bett gehe, sie sprechen zu müssen.“