Eine mörderische Zusammenarbeit

Die Türkei wollte das Problem einheimischen islamistischen Terrors nicht wahrnehmen. Die Machtelite hat lange die terroristische Hisbullah gedeckt

AUS ANKARA ANTJE BAUER

Der Ammoniakgeruch der ersten Bomben am vergangenen Samstag hatte sich noch nicht verzogen, da war die türkische Regierung schon mit einer These zur Stelle: Eine ausländische Organisation hätte die Anschläge auf die beiden Synagogen verübt, vermutete sie, und: Es handele sich um einen Anschlag auf die Stabilität der Türkei. Diese These war in doppelter Hinsicht praktisch: zum einen, weil man für ausländische Terroristen nicht verantwortlich gemacht werden kann, und zum anderen, weil es die Lieblingsprojektion vieler Türken bediente, dass ausländische Mächte das Verderben des Landes im Sinne haben.

In den darauf folgenden Tagen zeigte sich leider, dass dieses Bild nicht ganz stimmte: Zwei Selbstmordattentäter und zwei Helfer sind inzwischen per DNA-Analyse identifiziert worden, drei von ihnen stammen aus der kurdischen Kleinstadt Bingöl, und alle haben sie eine einschlägige islamistische Vita. Kein Wunder, dass sich die Regierung nach den neuen Anschlägen mit Mutmaßungen über die Täter zurückhält.

Auch die türkischen Medien räumen dieser Tage nur zögernd ein, dass einige der vier Attentäter vom Samstag in Pakistan ausgebildet worden sind, dass einer von ihnen in Tschetschenien und Bosnien gekämpft hat und dass sie ganz offensichtlich Teile eines internationalen radikalislamischen Netzwerks waren. Ihre Lebensläufe werden zumeist wiedergegeben, als seien es Einzelkämpfer, durchgeknallte Irre, die sich in der Türkei keines größeren Rückhalts erfreuen. Diese Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr, denn über islamistische Gruppen in der Türkei zu reden heißt auch, über die türkische Politik der letzten fünfzehn Jahre zu reden.

Als in den 90er-Jahren der Kampf zwischen dem Staat und der kurdischen PKK immer heftiger wurde, entschied sich die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller, für den Kampf gegen die PKK neben der Armee die Unterstützung jeglicher anderer Gruppen anzunehmen. Dazu gehörte auch die islamistische Organisation Hisbullah. In ihrer Hochburg, der Kleinstadt Batman im Südosten der Türkei, wurden von 1993 bis 1997 ca. 650 Morde „von unbekannter Hand“ verübt, die vermutlich großenteils auf das Konto der Hisbullah gehen. Erst nachdem die PKK militärisch besiegt und ihr Führer Abdullah Öcalan gefangen war, zog die türkische Machtelite ihre schützende Hand ab; seit 2000 wurden immer wieder Massengräber mit Opfern der Hisbullah gefunden, der Kopf der Organisation, Orhan Veli, wurde von der Polizei erschossen. Die Tageszeitung Milliyet fand heraus, dass der Gouverneur von Batman der Hisbullah Waffen verschafft hatte.

Obwohl immer wieder Details dieser Art über die mörderische Zusammenarbeit zwischen türkischen Politikern, den Militärs, Mafiagruppen und Islamisten in die Öffentlichkeit gelangten, wurde dieses dunkle Kapitel nie wirklich aufgearbeitet. Prozesse wurden verschleppt oder gleich gar nicht eröffnet. Eine Teilamnestie, genannt „Gesetz zur gesellschaftlichen Reintegration“, die im vergangenen Juli verabschiedet wurde, kam nicht nur ehemaligen PKK-Mitgliedern zugute, sondern auch Mitgliedern der islamistischen Terrorgruppen.

Ein weiterer Grund für den türkischen Regierungschef, die Attentäter nach Möglichkeit im Ausland zu verorten, ist deren Berufung auf den Islam. Vergeblich erscheint die Beschwörung des Fraktionsvorsitzenden der regierenden AK-Partei, Eyüp Fatsa, Terror habe mit dem Islam nichts zu tun: Die Täter berufen sich auf den Islam, und alle Welt weiß, dass die regierende AK-Partei aus einer islamistischen Partei hervorgegangen ist. Schon warnen manche, das Ausland könne die Türkei nach den Anschlägen für unberechenbar halten.

Um solchen Mutmaßungen die Grundlage zu nehmen, versichert Ministerpräsident Erdogan in diesen Tagen glaubhaft, den Terror zu verurteilen. Dennoch kann er sich nicht sicher sein, dass alle seine Wähler diese Ansicht teilen. Bei einem Besuch in der Islamistenstadt Konya vor wenigen Monaten erklärten fromme Muslime der taz, der Krieg der Amerikaner im Irak sei ein Angriff auf die muslimische Welt. Ein Mitglied einer islamischen NGO sagte: „So wie Afghanistan das Ende Russlands bedeutet hat, so wird der Nahe Osten das Ende Amerikas sein.“