Zeche Holland in Genossenhand

Alleine Leben ist out: Genossenschaftliches Wohnen findet Fans in jedem Alter und jeder Stadt. 14 Freunde aus Gelsenkirchen haben ihr Haus gefunden

NRW ist ein gutes Land für Genossenschaften, nur Hamburg fördert ähnlich intensiv

AUS GELSENKIRCHENANNIKA JOERES

Genosse zu sein verdreckt die Hände, macht sie schwielig. „Das ist ein Fulltimejob“, sagt Olaf. Seit drei Jahren werkeln der Mittdreißiger, seine Freundin Nina und zwölf Freunde an ihrem Traum, einem gemeinsamen Haus. Ein Genossenschaftsmodell hat den BewohnerInnen das Geld für den alten Bergarbeiterbau gebracht – und jede Menge Arbeit. Mit der Genossen-Partei habe das nichts zu tun, „und eine Kommune sind wir auch nicht“, sagt Olaf. Eher eine Gruppe von Leuten, die keine Mietwohnung wolle, kein Reihenendhaus, kein einsames Singlezimmer. „Wir wollen nebeneinander wohnen, aber nicht miteinander.“

Olaf und seine Sippe sind Trendsetter: Viele Menschen in Nordrhein-Westfalen schließen sich einem genossenschaftlichen Wohnprojekt an, es gibt SeniorInnenprojekte, Projekte für Frauen, für Behinderte, für Familien, für Umweltbewusste. Sie alle haben eine Gemeinsamkeit: In der Gruppe schöner leben zu können, als sie es sich alleine leisten könnten. Der anonymen Großstadt zu entkommen, Tür an Tür mit Gleichgesinnten. Auch der Bank ist dieser Gemeinschaftssinn Kredite wert: Wenn viele gemeinsam für die Leihgabe bürgen, sind höhere Summen möglich. Und auch das Land unterstützt die neuen Wohnformen: Die Landesregierung vergibt zinslose Darlehen.

„Alleine hätten wir uns so eine Wohnung nie leisten können“, sagt Olaf. Zehn Jahre lang haben er und sein Freund aus Kindergartenzeiten gesucht, viele Häuser waren zu klein, zu teuer, oder die Makler sind an den beiden Interessenten vorbei gerauscht, weil „wir keine Krawatten und Anzüge tragen“, sagt Olaf mit den ausgebeulten Jeans. Jetzt haben sie ihr Wunschhaus gefunden, ein altes Direktorenhaus der Zeche Holland in Gelsenkirchen, Stadtteil Ückendorf. Das Haus wurde zwangsversteigert, für insgesamt knapp 200.000 Euro. Noch ist der große quadratische Bau ganz grau, steht inmitten von Gestrüpp, zahlreichen Fahrrädern, ein paar alten Autos, Kinderdreirädern. Vierzehn Frauen und Männer zwischen dreißig und vierzig Jahren wohnen hier, zwei Kinder, vier Katzen, vier Hunde, im Frühjahr kommt noch eine neue Genossin zur Welt. Einige sind allein stehend, andere allein erziehend oder Paare, befreundet sind sie alle.

Doch neue Fenster zeigen schon die Arbeit der vierzehn BewohnerInnen, hinter jeder Glasscheibe ranken Blumen. Drei Jahre lang hat die Gruppe Wände eingerissen und aufgebaut, Böden verlegt, tapeziert, gestrichen, gemauert, gepflanzt. Sie kämpften gegen plötzlich auftretenden Holz fressenden Schwamm und den verseuchten Boden, wo der Sandkasten entstehen sollte. Urlaub hätten sie in der Zeit nicht machen können, sagt Olaf. „Nur ein paar Tage in Holland.“ Natürlich hätten nicht alle gleich viel gearbeitet, der eine sei faul, ein anderer habe plötzlich Arbeit gefunden, die Dritte wurde schwanger. „Das trägt die Gruppe“, sagt Olaf. „Wir haben uns auch gezofft, ganz klar, aber das war nix dramatisches.“ Eigentlich habe er mit viel größerem Streit gerechnet, alles sei glimpflich verlaufen. Dabei sind die BewohnerInnen ins kalte Wasser gesprungen, niemand hatte einen handwerklichen Beruf gelernt. Olaf ist Veranstaltungstechniker in Oberhausen, sein Freund und Mitgründer Tätowierer mit eigenem Studio in Gelsenkirchen.

„Die Menschen leben heute komplizierte Leben“, sagt Joachim Brech von der Wohnbundberatung, einer bundesweiten Beratungsstelle für MieterInnen. Deswegen sei jetzt auch eine bunte Palette unterschiedlicher Lebensstile entstanden. Der Wohnungsmarkt habe bisher kaum darauf reagiert. Was viele Menschen wollen, sei seit einer Studie seines Vereins klar: „Sie wollen in überschaubaren Gemeinschaften leben und an allen Entscheidungen teilhaben. Es ist ein Wechselspiel von Vielfalt und Einheit.“ Anders als noch vor zehn Jahren erkenne die Gesellschaft die neuen Lebensweisen an.

Tatsächlich finden sich in Nordrhein-Westfalen in jeder Schicht und Altersgruppe Pioniere des neuen Wohnens. Frauen schließen sich zusammen, Ökofreunde und Autoverweigerer, Alte, Behinderte und MigrantInnen, Familien. Auch das Land hat großes Interesse an den neuen WGs: „Das Genossenschaftsmodell soll zu einer dritten Säule in der Wohnungsmarktversorgung werden“, sagt Heike Dongowski vom Städtebauministerium NRW. „Auch ärmere Familien können so großzügig und in Gemeinschaft leben.“ Gerade bei den anstehenden Privatisierungen von Wohnungen sei das Modell zunehmend interessant. Bisher sei das Verfahren für eine Genossenschaft aber zu aufwändig, oft stolperten die Interessierten über organisatorische Probleme. „Langfristig wollen wir eine landesweite Dachgenossenschaft gründen,“ kündigt Dongowski an.

Der eine ist faul, die andere schwanger, aber „die Gruppe trägt das“

Nordrhein-Westfalen ist ein gutes Land für genossenschaftliches Wohnen. „Neben Hamburg ist es das einzige Bundesland, das diesen Bereich fördert“, sagt Wolfgang Kiehle von der Wohnbundberatung NRW. In den Kernstädten des Ruhrgebiets, aber auch in Köln oder Aachen werde das gemeinsame Wohnen immer wichtiger. „Gerade durch Projekte mit ärmeren Bewohnern können ganze Stadtteile stabilisiert werden.“ Dennoch gibt auch Kiehle zu, dass diese Form noch in den Kinderschuhen steckt.

Olaf und seine Freundin Nina haben früher beide in Wohngemeinschaften gelebt, „aber irgendwann war es auch genug“, sagt Nina. Nach fünfzehn Jahren eng auf eng wolle sie auch einmal Raum für sich haben. Die blonde Frau mit den Dreadlocks, unzähligen kleinen silbernen Ohrringen und dem „I like Veggie-Shirt“ kommt eigentlich aus Münster, dort wurde es ihr zu spießig, zu katholisch, waren ihr die Menschen zu reserviert. „Dafür suchst Du hier stundenlang nach den passenden Buntstiften“, sagt Nina. Sie ist Künstlerin und bastelt afrikanisch aussehende Masken aus Pappmaché, dunkle Gesichter mit weit aufgerissenen Augen. Nina ist glücklich, in einem Haus mit Vergangenheit zu wohnen, hat in Bibliotheken und im Internet zur Geschichte ihres neuen Zuhauses geforscht und damit ganze Aktenordner gefüllt. An der Küchenwand hängt eine historische Aufnahme der Zeche Holland, sie wurde 1845 gegründet, 1974 wurde der letzte Wagen Kohle zu Tage gebracht. Vor kurzem haben die NeubewohnerInnen einen verschütteten Eingang zu einem Bunker für 40.000 Menschen aus dem zweiten Weltkrieg gefunden. Kurz darauf kam zufällig ein altes Ehepaar vorbei, das bis 1974 in dem Haus gelebt hatte und während eines Bombenangriffs in den Bunker flüchtete. „Sie kamen raus, standen auf dem Bunker und sahen das ganze Ruhrgebiet brennen“, sagt Nina ergriffen. Sie hat noch eine andere Entdeckung gemacht: Im Küchenfußboden fand sie originale Dividendenscheine von 1893. Die Fundstücke hat sie sorgfältig in einen der Aktenordner eingeklebt.

Die Wohnung von Olaf und Nina hat nichts mit bunt gewürfelten Küchen in Wohngemeinschaften gemeinsam. Parkett, großzügige Fenster, eine maßgeschneiderte Küche und eine perfekt arrangierte Obstschale erinnern eher an ein Loft. Zufällig treffen die verschiedenen BewohnerInnen nur selten aufeinander, sie haben alle unterschiedliche Arbeitszeiten und Hobbies, bei einigen bestimmen Kinder den Alltag. „Ein Treffen müssen wir lange planen.“ Dann gucken sie im Gemeinschaftsraum Fußball oder Lindenstraße, kickern, trinken ein zwei Bier, planen den zukünftigen Garten. Nina ist das oft zu wenig. „Meistens ist das Haus viel zu ruhig.“