Bertram und Union haben fertig

Die Mitgliederversammlung des 1. FC Union gerät zur Schlammschlacht: Ex-Präsident Bertram wettert gegen den Aufsichtsrat, der ihn stürzte. Der pöbelt zurück und präsentiert bedrohliche Zahlen. Am Ende lässt auch die Basis der Eisernen Bertram fallen

von JÜRGEN SCHULZ

Bierflaschen kreisten schon am frühen Samstagnachmittag. Viele der verwegen aussehenden Gestalten vor der Arena Treptow zogen an ihrer Zigarette, als wäre es die letzte. Der von einer Führungskrise geschüttelte 1. FC Union hatte zur außerordentlichen Mitgliederversammlung eingeladen. Vom runden Leder war jedoch nur beiläufig die Rede, umso mehr von offenen Rechnungen. Selbst der 2:0-Heimerfolg am Vorabend gegen den VfL Osnabrück, der den Berlinern im Abstiegskampf in der zweiten Bundesliga etwas Luft verschafft hatte, konnte die Kampfeslust der „Eisernen“ nicht besänftigen.

„Drei Union-Generationen haben die verschiedensten Krisen gemeistert. Jetzt droht dem Verein das Schlimmste, was passieren könnte – die Spaltung“, stöhnte Günter Mielis, Vorsitzender des Ehrenrats und 1966 einer der Gründungsväter Unions.

In der wie zu einem Begräbnis ganz in Schwarz ausgestalteten Halle fiel die Basis über sich und die wie eingefroren dasitzenden Mitglieder der Führungsriege auf dem Podium her. Jürgen Schlebrowski, seit der Über-Nacht-Abberufung von Heiner Bertram vor sechs Wochen Präsident des Clubs, unternahm den Versuch einer raschen Befriedung der über 700 Anwesenden. „Jeder will die Sportschau sehen heute Abend, denke ich“, appellierte er an den versammelten Fußball-Verstand. Ein klassisches Eigentor, wie das folgende Pfeifkonzert bewies.

Nun verspürten die Unioner Lust auf eine neue Extremsportart: das Indoor-Mobbing. „Nichts, aber auch gar nichts, was sie getan haben, ist zu Ende gedacht“, warf der nach sechs Jahren Amtszeit entmachtete Bertram („ein Trauerspiel“) den Umstürzlern im Aufsichtsrat vor. Keinen der sieben Herren, spottete der gewiefte Demagoge, habe er je auf der Geschäftsstelle gesehen. Stattdessen hätten ihn die Räte durch „ehrabschneidende Darstellungen“ demontiert. „Ich wurde über sechs Jahre von den Mitgliedern des Vereins getragen“, tönte Bertram – bis ihn der Aufsichtsrat in schlimmster „Politbüro“-Manier geschasst hätte.

Die attackierten sieben gerieten in Wallung, unterstellten Bertram eine Club-Leitung nach Gutsherrenart. Dann ging es rund. Begriffe wie „Lügner“ oder „Halt’s Maul“ schossen durch die stickige Hallenluft. Phasenweise entwickelten die Mitglieder in Treptow mehr Kampfgeist als die Union-Profis in der 2. Liga.

Als sich Bertram bei seiner Selbstglorifizierung zu der Behauptung verstieg, sich als Präsident nie in die sportlichen Belange des Trainers eingemischt zu haben, kippte die Stimmung. Das ging selbst eingefleischten Bertramianern zu weit. Wie oft hatte sich der damalige Boss über Taktik und Mannschaftsaufstellung von Mirko Votava ausgelassen – zumeist negativ, dem Tabellenplatz entsprechend. Votavas drohender Rauswurf durch Bertram, den der Aufsichtsrat in letzter Sekunde per Dekret verhinderte – weil sonst rund 300 000 Euro Abfindung fällig geworden wären –, hatte letztlich zur Abberufung der Präsidenten und zur Vereinskrise geführt.

Nun trat Bertram kräftig gegen diese wunde Stelle. Votava, den sein früherer Vorgesetzer im Auditorium offensichtlich übersehen hatte, verließ entrüstet die Treptower Arena. „Ich bin menschlich ein bisschen enttäuscht“, untertrieb der Coach.

Drinnen schwenkte Aufsichtsratschef Uwe Rade zu nicht minder unangenehmen Zahlen über: „Kurzfristig 180.000 Euro“ fehlten dem Verein. Im Dezember drohe ein gefährlicher Liquiditätsengpass. Eigentlich, so hieß es hinter den Kulissen, sollten diese Zahlen nicht publik werden, um den Verband als Lizenzgeber nicht hellhörig zu machen. Offenbar zückte Rade die roten Zahlen als letzten Trumpf gegen das alte Präsidium. Armin Friedrich, der zurückgetretene Schatzmeister aus der Bertram-Ära, rastete aus. „Ich werde Sie verklagen, bis Sie schwitzen“, brüllte der sonst so besonnene Oberfranke Rade an.

Allmählich bekam es die Basis, müde nach fast fünfstündigem Pfeifen, Johlen und Pöbeln, mit der Angst zu tun. Rade stellte sie im Namen der amtierenden Führungsriege vor die Wahl: „Wenn die Mitglieder uns ihr Vertrauen nicht aussprechen, werde ich mein Amt niederlegen.“ Führungslos in den Abgrund trudeln wollten dann doch die wenigsten Mitglieder. In der abschließenden Abstimmung sprachen 461 Unioner dem Aufsichtsrat ihr Vertrauen aus. Lediglich 188 Eiserne plädierten dagegen, also indirekt pro Bertram – bei 59 Enthaltungen. Der frühere Präsident hatte bei der Schlammschlacht in Treptow überraschend die dickste Packung abbekommen.