: Generation 89
Kinder, die geboren wurden, als die Mauer fiel, sind heute in der neunten Klasse. Meta, Josefine und Hannah erklären ihren Blick auf Ost und West
Interview ANNETT GRÖSCHNER
taz: Was haben euch eure Eltern über die Zeit erzählt, in der ihr geboren wurdet?
Hannah: Ich bin am 1. November 1989 auf die Welt gekommen. Meine Mutter war noch mit mir im Krankenhaus, als mein Vater durch Westberlin spazierte.
Fine: Ich bin am 3. August geboren. Ich war also schon drei Monate alt, als die Mauer fiel. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie das zuerst gar nicht realisieren konnte, als sie die Bilder im Fernsehen sah.
Meta: Ich bin am 13. Oktober geboren, eine Woche vorher war meine Mutter hochschwanger auf der Demonstration gegen die Regierung an der Gethsemanekirche. Mein Vater und meine Tante wurden verhaftet. Da hatte meine Mutter schon Angst, dass er nicht rechtzeitig zur Entbindung aus dem Gefängnis kommt. Am nächsten Tag wurde er wieder freigelassen.
Erzählen eure Eltern oft über ihr Leben in der DDR?
Fine: Über die DDR erzählt eigentlich eher meine Oma. Meine Mama muss ich gezielt fragen, wie das so war. Zum Beispiel, dass es so wenig zu kaufen gab. Sie hat damals in der Kaufhalle gearbeitet und es gab nur einmal im Jahr Knoblauch. Da hat sie sich immer gefreut, wenn sie welchen abbekam. Das waren Probleme, die ich mir nur schwer vorstellen kann.
Meta: Ich fand das toll, dass man früher immer getrampt ist, weil es so wenig Autos gab.
Hannah: Mein Vater hat oft spannende Abenteuergeschichten aus der DDR erzählt. Zum Beispiel, dass einer seiner Klassenkameraden versucht hat, zu fliehen. Aber eigentlich erfährt man wenig über den Osten. Es ist einfach schon zu lange her.
Ich habe selbst einen Sohn in eurem Alter und ich finde es schwer, ihm zu erklären, wie das Leben hinter der Mauer war. Einmal wollte ich ihm und dir, Meta, zeigen, wo die Mauer verlief. Wir gingen an die Bernauer Straße und ich zeigte mit dem Finger auf einen imaginären Punkt in der Luft: Bis da oben ging die Mauer und von dort nach dort. Ihr habt mich gefragt: Und warum habt ihr nicht einfach Räuberleiter gemacht?
Meta: Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Nur, dass wir mit der Klasse mal im Museum am Checkpoint Charlie waren. Sie haben uns erklärt, was ein Todesstreifen war, und dass da eine ganze Menge Menschen gestorben sind.
Hannah: Wir hatten das Thema im Sachkundeunterricht in der Grundschule.
Fine: Echt? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern, obwohl wir in einer Klasse waren.
Hannah: Es war ja damals auch nicht spannend. Wenn man es jetzt durchnehmen würde, bekäme man sicher mehr mit.
Fine: Aber in Geschichte sind wir erst bei Bismarck. Ich kann mir das nur schwer vorstellen: eine Mauer mitten durch Berlin, Stacheldraht und Soldaten.
Hannah: Ich finde es gut, dass es in der Stadt wenigstens diesen Streifen aus Pflastersteinen gibt, der den Mauerverlauf markiert.
Fine: Letztens ist mir aufgefallen, dass ich gar nicht genau wusste, welcher Bezirk im Osten und welcher im Westen lag.
Meta: Wir werden nie erfahren, wie es wirklich war. Wir waren eben nicht bewusst dabei. Ich kenne ältere Jugendliche, die Vitacola trinken und F6 rauchen, weil die aus dem Osten kommen. Aber für mich spielt das keine Rolle. Ich habe Pittiplatschschallplatten gehört, Sandmännchen geguckt und genauso habe ich mit meiner Barbiepuppe gespielt.
In welchen Gegenden der Stadt bewegt ihr euch?
Meta: Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain, auch Kreuzberg.
Fine: Zum Einkaufen fahre ich zum Potsdamer Platz oder zur Friedrichstraße. Neulich ist uns mal aufgefallen, dass wir nie auf den Ku’damm gehen, so wie meine Großeltern.
Hannah: Man braucht Prenzlauer Berg gar nicht verlassen, es ist alles hier. Nur wenn wir Besuch kriegen, gehen wir mal Unter den Linden spazieren oder zeigen ihnen den Potsdamer Platz.
Spielt es für euch noch eine Rolle, wer aus dem Westen und wer aus dem Osten kommt?
Meta: Ich weiß nicht mehr, wer Ossi oder Wessi ist in unserer Klasse. Es hat einfach keine Bedeutung.
Fine: Mir ist aufgefallen, dass viele Eltern oder Großeltern aus Sachsen stammen. Aber sonst achte ich da nicht so drauf.
Hannah: In der sechsten Klasse waren wir auf Klassenfahrt in Mecklenburg. Da sind wir in der Jugendherberge von Fünftklässlern aus Wedding als Ossis beschimpft worden. Wir wussten zuerst gar nicht, was die meinten.
Könntet ihr euch vorstellen, mit euren Eltern aus Berlin wegzuziehen?
Hannah: Ich wäre nicht glücklich darüber. Berlin ist nun mal meine Stadt. In München beispielsweise gefällt mir der Dialekt nicht.
Fine: Hamburg ist noch ganz schön.
Hannah: Wenn ich wegziehen müsste, dann würde ich lieber gleich ins Ausland gehen. Nach Schweden oder Dänemark.
Meta: Ich möchte später gerne mal eine Patisserie eröffnen. Da wäre es allerdings schon nicht schlecht, eine Ausbildung in der Schweiz zu machen.
Fine: Da kannst du ja schon mal anfangen zu sparen. Ich finde Berlin sehr schön, aber ich kann mir nicht vorstellen, das ganze Leben nur hier zu sein. Ich würde gerne in Skandinavien oder England studieren und dann Maskenbildnerin am Theater werden.
Hannah: Ich möchte gerne Mediengestaltung studieren. Ich könnte mir auch vorstellen, das in Stockholm oder Kopenhagen zu tun.
Meta: Nur ja nicht aufs Dorf. Wir gehören nicht zu den Mädchen, die gerne mit Pferden auf einem Bauernhof leben würden.
Sind eure Lehrer aus dem Osten oder aus dem Westen?
Fine: In der Grundschule waren die Lehrer fast ausschließlich aus dem Osten. Eines Tages haben wir eine neue Lehrerin bekommen, aus dem Westen, und die wollte keinen Frontalunterricht machen, sondern alles etwas aufgelockerter und spielerischer gestalten. Ich fand das sehr schön, aber ich hatte immer das Gefühl, dass die anderen Lehrer nicht damit einverstanden waren. Es war dann so, dass wir in ihrer Stunde die Tische in Gruppen stellten und bei der nächsten Lehrerin wurden sie wieder in Reihen geordnet.
Hannah: In der Grundschule waren Lehrerinnen, die schon extrem ostig waren.
Was ist für euch ostig?
Fine: Wenn jemand in den Achtzigerjahren stehen geblieben ist. Sowohl im Aussehen als auch in den Unterrichtsmethoden.
Hannah: Da gab es welche, die haben den Unterricht nach dem Studium einmal vorbereitet, und seitdem wird er jedes Jahr wieder heruntergeleiert. Die sind nicht offen für Neues. Auf unserem Gymnasium ist das angenehmer.
Ihr gehört zu dem letzten geburtenstarken Jahrgang im Osten Berlins. 1988 sind dort um die 18.000 Kinder geboren worden, 1993 waren es 10.000 weniger. Ist euch das aufgefallen?
Meta: Ja, wir sehen das jeden Tag in der Schule. Es gab nach uns dieses Geburtenloch. Wir waren am Anfang noch 35 Schüler in der Klasse. Schon eine Jahrgangsstufe unter uns gibt es viel weniger Schüler.
Fine: Deswegen soll ja bald ein Gymnasium in unserer Gegend geschlossen werden.
Hannah: Es gibt einige in unserer Klasse, die sehr viel kleinere Geschwister haben.
Meta: Vor zwei Jahren fing in Prenzlauer Berg dieser Babyboom an, da sah man erst unzählige Schwangere, dann die frisch gebackenen Eltern mit den Kinderwagen und nun laufen die Kinder schon an der Hand.
Fine: Ich finde das schöner mit den vielen Kindern. Was mir aufgefallen ist, die Freundinnen meiner Mutter haben alle mit 25 ihre Kinder bekommen. Jetzt sind die Frauen 30 oder Mitte 30.
Möchtet ihr Kinder haben?
Meta: Ich möchte zwei Mädchen. Keine Jungs. Aber ich bin unsicher, ob es irgendwann noch mal einen Aufschwung gibt in Deutschland. Wenn es so bleibt, wie es ist, weiß ich nicht, ob ich nicht lieber verzichte.
Fine: Ich würde gerne meine Kinder unter 30 bekommen. Ich finde es doof, wenn die Frauen sagen, erst mal möchte ich eine Karriere haben, bevor ein Kind kommt. Ich möchte beides, und beides zugleich.
Hannah: Die Kinder sollen es einigermaßen gut haben, und dazu braucht man nun mal Geld und einen Beruf.
Annett Gröschner (40) arbeitet als Schriftstellerin in Berlin