Der Sturmangriff auf Falludscha beginnt

Iraks Premier Ajad Allawi erteilt den multinationalen Truppen den Einsatzbefehl, um die Stadt von Terroristen „zu säubern“. Die US-Marines sind fest entschlossen, Geschichte zu schreiben. Die Aufständischen wollen ihren Feinden eine Lektion erteilen

VON KARIM EL-GAWHARY

Tagelang wartete alles auf den endgültigen Einsatzbefehl des irakischen Premiers Ajad Allawi. Am Montag war es so weit: „Ich rufe die irakischen Truppen auf, an der Spitze der multinationalen Streitkräfte Falludscha von Terroristen zu säubern“, erklärte er auf einer Pressekonferenz, und verhängte am Montag ab 18 Uhr eine Ausgangssperre über die Stadt. Außerdem erklärte er die Grenzen nach Syrien und Jordanien sowie den internationalen Flughafen in Bagdad für geschlossen. „Wir haben keine andere Wahl, um die Iraker vor diesen Mördern zu schützen und Falludscha zu befreien, damit dessen Einwohner wieder zurückkehren können“, rechtfertigte er diese Maßnahmen.

Damit haben die über 10.000 US-Marines und eine unbekannte Zahl irakischer Truppen, die sich rund um Falludscha zum Einsatz versammelt haben, grünes Licht, um die Stadt von den dort verschanzten geschätzten 3.000 Aufständischen zurückzuerobern. Die psychologische Schlacht und kleinere militärische Scharmützel sind ohnehin bereits seit Tagen in vollem Gange. „Wir werden nicht nach Falludscha gehen, um Teddybären auszuteilen, erklärte ein Oberst der US-Marines.

Dessen oberster Chef im Irak, General John F. Sattler, sieht sich unterwegs in historischer Mission. „Wir werden hier Geschichte schreiben, ob in 40 oder in 100 Jahren werden sie noch über die Schlacht von Falludscha reden“, feuerte er seine Männer an.

Aber auch die andere Seite hat sich an die Regeln des Psychokrieges angepasst. „Wir werden sehen, wer am Ende gewinnt, die, die Gott anbeten, oder die, die ihn verachten. Wir sind bereit, ihnen entgegenzutreten und wir werden ihnen eine Lektion mit hohen Verlusten erteilen“, lässt ein Guerilla-Kämpfer namens Abu Muhammad per Telefon in Falludscha gegenüber der New York Times verlauteten.

In die gleiche Richtung gehen auch die Geschichten von 118 Autobomben und 300 freiwilligen Selbstmordattentätern, die angeblich auf die US-Armee in der Stadt warten. Ebenso wie die Nachricht, dass die Gräber auf Falludschas Friedhof ausgehoben sind, um die Märtyrer auf dem Weg ins Paradies in weißen Leichentüchern zu empfangen.

Oberst Michel Ramos aus Texas will sich nicht einschüchtern lassen. „Wenn ich meine Marines von der Leine lasse, werden sie durch einen Sieg die Akte Falludscha schließen“, sagt er. Am Wochenende wurden bereits mehrmals Marines versuchsweise „von der Leine gelassen“, um in vereinzelten Militärkolonnen in die Stadt hineinzufahren und den dortigen militärischen Widerstand auszuloten. Diese Versuche waren allerdings auf wenig Gegenwehr gestoßen. „Die Aufständischen sind klug, sie heben sich alles auf. Die haben ihre Lektion gelernt, sich nicht zu zeigen“, meint Oberst Ramos dazu.

In der Nacht zum Montag besetzten die Marines in einem „als Vorbereitungsphase“ beschriebenen Schritt zwei strategisch wichtige Euphratbrücken und das lokale Krankenhaus in den westlichen Außenbezirken der Stadt. Im Krankenhaus seien vier ausländische Kämpfer festgenommen und 38 Menschen erschossen worden, erklärte Allawi. „Die sind dort stationiert gewesen, um terroristische Anschläge zu verüben“, fügte er hinzu.

Das Krankenhaus ist auch deshalb ein bedeutendes strategisches Ziel, weil es beim letzten gescheiterten Eroberungsversuch im April, „ein Zentrum der Propaganda auf Seiten der Aufständischen darstellte“, wie ein US-Offizier der New York Times mitteilte. Damals hatte das Krankenhaus regelmäßig Zahlen über bis zu 600 zivile Tote geliefert, die im ganzen Irak zum Aufruhr führten und am Ende zum Abbruch des letzten Eroberungsversuches. Die US-Armee bezeichnete die Zahlen als überhöht und Teil des Propagandakrieges der Aufständischen. Gegenzahlen wurden von US-Militärs niemals veröffentlicht. Der Chef der Klinik, Ahmed Issa, erklärte am Montag erneut, dass sein Krankenhaus sich keiner Seite zugehörig fühle und es sicher nicht auf Seiten der Aufständischen stehe.

So wird es bei diesem neuen Sturmangriff auf die Stadt möglicherweise keine Zählung der irakischen Toten mehr geben. In der 350.000 Einwohner zählenden Stadt sind schätzungsweise noch 10.000 Zivilisten verblieben. Auch wenn die Marines offiziell angehalten wurden, Zivilisten zu verschonen, die konkrete Vorbereitung vor Ort klingt manchmal anders, und der Schutz der eigenen Truppen geht vor. Die Anweisung von Hauptmann Jil Juarez an seine schlachtbereiten Männer lässt keine Zweifel: „Schicke keine Marines hinein, wenn du erst einmal eine Salve abfeuern kannst.“