Junge Menschen mit Durchblick gesucht

In Thüringen hat sich ein erstaunlich erfolgreiches Netzwerk gegründet. 73 Betriebe, Forscher und Investoren machen ihr Glück in der optischen Industrie. Ideen haben sie, Produkte und auch Geld. Weil die ehemaligen Zeissianer jetzt aber in die Jahre kommen, fehlt ihnen der Nachwuchs

Im Netz realisieren sich zwei Drittel der Umsätze Thüringer Optikfirmen

BERLIN taz ■ Donnerstag wird ein wichtiger Tag für Jena. Bundespräsident Horst Köhler vergibt den Deutschen Zukunftspreis. Damit wird klar, was das Land in Sachen Technik und Innovation kann. Mit unter den vier Vorschlägen für die Schlussrunde: das Laser Scanning Mikroskop LSM 510 META, entwickelt von einem Team der Carl Zeiss Jena GmbH. Es eröffnet der biomedizinischen Forschung Möglichkeiten, die bisher in weiter Ferne lagen. Etwa in der molekularen Tumorforschung.

Neu ist das für die Thüringer nicht. Hochauflösende 3D-Kameraaugen oder Detektoren zum Messen ultravioletter Strahlung aus Jena waren bei der Marsexpedition dabei, der erste Zukunftspreis ging 1997 an Christhard Deter nach Gera – für Lasergroßbildprojektionen.

Das alles kommt nicht von ungefähr. „Optik ist sexy“, meint Andreas Tünnermann, Institutsleiter an der FSU in Jena und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik. Und nicht erst seit heute: schon Mitte des 19. Jahrhunderts, als Ernst Abbe, der praxisverbundene Theoretiker, und Carl Zeiss, der theoriekundige Praktiker, die äußerst produktive und viel beschworene Symbiose zwischen Wissenschaft und Produktion schufen. So sind Jena und unterdessen ein Dutzend weiterer Städte heute zu einem Standort optischer Forschung und Industrie geworden, der Vergangenheit und Zukunft hat. Die Branche beschäftigt zurzeit 8.500 Mitarbeiter, darunter 1.100 in Forschung und Entwicklung. Bis 2010 sollen es insgesamt 14.000 Arbeitsplätze sein. Jena ist, so der Zukunftsatlas 2004 von Prognos und Handelsblatt, der erfolgreichste Standort in den neuen Ländern.

Dennoch: Dass die traditionsreiche Branche die Wende überstanden und offenbar eine vielversprechende Zukunft vor sich hat, ist nicht selbstverständlich. Die milliardenschweren Hilfen für den Umbau des alten VEB Carl Zeiss Jena alleine sind es nicht. Auch das 1999 als eingetragener Verein gegründete OptoNet hat Anteil am Erfolg. In ihm sind 73 Partner organisiert: Unternehmen, Hochschulen Forschungseinrichtungen, Geldgeber, lokale und regionale Institutionen. Gut zwei Drittel der Umsätze der Thüringer Optikunternehmen werden innerhalb des Netzes realisiert. Brancheninformationen aufzubereiten und auszutauschen, die Kooperation zu fördern und Märkte für kleinere Unternehmen zu erschließen, sind für Klaus Schindler, Geschäftsführer des OptoNet e. V., Hauptaufgaben des Optik-Clusters: Die Unternehmensstruktur ist kleinteilig. 69 Beschäftigte im Durchschnitt, aber die Zahl täuscht. Darin sind die Großen wie die Carl Zeiss Jena GmbH und Jenoptik AG mit jeweils rund 1.300 Beschäftigten enthalten und daneben wenige mit mehr als 200 Mitarbeitern.

Diese Kleinteiligkeit zwingt zur Zusammenarbeit. Forscher aus Universitäten, freien Instituten und Unternehmen kooperieren fünfmal häufiger mit anderen Institutionen, als dies in vergleichbaren westdeutschen Universitätsstädten der Fall ist, hat der Jenaer Wirtschaftswissenschaftler Uwe Canter herausgefunden. Jedes vierte Patent ist hier ein Gemeinschaftswerk von mindestens zwei Partnern. Für Tünnermann ist die „positive Grundstimmung entscheidend“, in der kooperiert wird.

Die mehr als 120 Industrieunternehmen der Optik in Thüringen und die Forschungseinrichtungen haben die Zukunft im Blick, aber dabei steckt noch viel Altes im Neuen. Bis 1989 waren 69.000 Menschen alleine im VEB Carl Zeiss Jena beschäftigt. 25 Prozent der heute aktiven Unternehmen sind unmittelbare Ausgründungen von Zeiss-Abteilungen, zusammen mit weiteren Unternehmen „aus Kombinatszusammenhängen“ sind es 40 Prozent. Die Zusammenarbeit klappt quasi auf Zuruf. Durch die lange Tradition ist praktisch alles vorhanden: von der Forschung und Entwicklung, über die Fertigung, bis zum Marketing und Vertrieb. Die sprichwörtlichen und so beargwöhnten „verlängerten Werkbänke“ spielen eine untergeordnete Rolle. Ein unschätzbarer Vorteil.

Alles klar also in Thüringen? Im Prinzip schon – bis auf das Problem mit der Demografie. Die alten Zeissianer kommen in die Jahre, Junge drängen nicht genügend nach. Die Belegschaften sind fünf Jahre älter als im deutschen Durchschnitt. Die um die 50-Jährigen sind stark vertreten. Wer um Nachwuchs wirbt, muss sich nicht selten Westgehälter leisten können.

OptoNet e. V. verwendet viel Mühe darauf, schon Schüler für die Optik zu begeistern. Betriebe und Hochschulen reagieren mit neuen Studiengängen. Zu profitieren scheint die Physik. Die Zahl der Studierenden ist seit dem WS 1997/98 um 300 Prozent gestiegen, während sie bundesweit stagniert. Es hat sich herumgesprochen, dass der Weg von der Idee zur Umsetzung nirgends kürzer ist als hier.

Doch die personellen Ressourcen werden auf Dauer nicht reichen. Schindler rechnet damit, dass die Optikregion Jena-Erfurt-Ilmenau-Gera entgegen dem Trend Zuwanderung qualifizierter Leute erleben muss.

Wie man das Nachwuchsthema angehen kann, zeigt das Jenaer Ingenieurbüro MAZeT GmbH, das in der Softwareentwicklung einen Namen hat. „Mit MAZet aus den Windeln in die Zukunft“ heißt es. Heimarbeit, flexible Arbeitszeit, Geburtsbeihilfen und Kindergartenzuschuss sollen die Spannung zwischen familiären und beruflichen Interessen mindern. 19 der 61 Ingenieure bei MAZeT sind Frauen. Es geht Geschäftsführer Fred Grunert nicht um „Sozialromantik“, sondern um sein Unternehmen. Die Leute sollen den Kopf frei haben. Grunert weiß als fünffacher Vater mit berufstätiger Frau, wovon er spricht.

Auch vorausschauende Sozialpolitik auf betrieblicher Ebene als Personalpolitik ist Jenaer Erbe. Es war Ernst Abbes Ziel, mit der Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung 1898 „die Rechtslage aller derjenigen zu heben, die in diesen Wirkungskreis eingetreten sind oder in Zukunft eintreten mögen“. Diese Haltung hat die Optik zu einer hochproduktiven, innovativen Leitbranche Thüringens werden lassen. Ob ein Cluster „sexy“ sein kann, steht dahin. Die Optik, so scheint es, ist es in diesem Optical Valley und den weiteren mit ihm verbundenen Standorten geblieben. Im kommenden Jahr erinnert Jena an den 100. Todestag des Wissenschaftlers, Unternehmers und Sozialreformers Ernst Abbe. Egal, ob dem Laser Scanning Mikroskop LSM 510 META nun der Lorbeer gebührt oder nicht, die Erben stehen nicht mit leeren Händen da. Das sind die Geschichten, die Mut machen. Wir sollten sie uns häufiger erzählen. CHRISTINE LIEBERKNECHT

Christine Lieberknecht (46) ist Fraktionschefin der CDU in Thüringen