Westniveau statt Weltniveau

Für viele Forscher bedeutete der Umbau Ost das Ende der wissenschaftlichen Laufbahn. Wer keine Chance hatte, an ein Institut zu kommen, musste sich im Ausland versuchen

BERLIN taz ■ Ein beliebter Witz in der DDR lautete: Nenne mir drei Museen! Antwort: Pergamon, Pentacon und Robotron. Gemeint waren der Kamerahersteller Pentacon und der Computerhersteller Robotron in Dresden. Viele DDR-Bürger machten mit diesen Rechnern erste Schritte ins Informationszeitalter.

Die Forschung in der DDR befand sich in einem Spannungsfeld zwischen Leistungsprinzip und politischer Einflussnahme. Das erlebte der Physiker Christian Seidel, der 1972 zum Institut für Polymerchemie nach Teltow kam, das zur Akademie der Wissenschaften (AdW) gehörte. Als er zu einer Konferenz nach Paris eingeladen wurde, lehnte sein damaliger Institutsdirektor ohne Begründung ab.

Laut Seidel hing die Gewichtung des Politischen immer vom jeweiligen Leitungskader ab. Es gab Perioden, in denen das Wissenschaftliche im Vordergrund stand. Anfang der Achtziger kam es dagegen vor, dass die Parteileitung über die Zulassung zur Promotion entschied. Nach der Wiedervereinigung zählte für die 24.500 Beschäftigten der AdW plötzlich Westniveau statt Weltniveau. Die Institute wurden durch den Wissenschaftsrat evaluiert. Nur positiv begutachtete Forschergruppen sollten weitergeführt werden. Weil das Geld nicht reichte, wurden ab 1991 auch solche Gruppen aufgelöst. Einige übernahm die Max-Planck- oder die Fraunhofer-Gesellschaft. Seidel forscht heute am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. „Vor allem die Wissenschaftler hatten eine Chance, die von Forschungsinstituten übernommen wurden und frühzeitig unbefristete Verträge erhielten. Bei Universitäten war es dagegen schwierig.“ So wurde zwar, um rund 2.000 Forscher der Berliner Akademie in die Hochschulen einzubinden, 1992 das Wissenschaftler-Integrationsprogramm eingerichtet. „In Berlin konnten jedoch nur vier Prozent der Geförderten dauerhaft eine Beschäftigung in einer wissenschaftlichen Einrichtung finden. Für viele bedeutete der Umbau Ost das Ende der wissenschaftlichen Laufbahn.

Einige aber machten im Ausland Karriere. Der Biologe Tom Rapoport etablierte ab 1972 an der AdW eine weltweit renommierte Forschergruppe. Chemikalien beschaffte er teils per Hosentaschenimport aus dem westlichen Ausland. „Bei einer Flugreise hatte ich Röntgenfilme dabei. Die Verpackung durfte weder geröntgt noch geöffnet werden.“ Man ließ ihn passieren. Nach 1990 wurde sein Institut in das Max-Delbrück-Zentrum eingegliedert. Trotz hervorragender wissenschaftlicher Reputation bot man ihm keine Perspektive in Berlin. Er forscht seit 1995 an der Harvard Medical School.

MAIK KSCHISCHO

Der Autor, gebürtig in Calau, ist Professor für Biomathematik an der FH Koblenz