Löwen ohne Lohn

Bayern München gewinnt auch das 198. Stadtderby mit 1:0, entgeht dabei aber nur knapp einer Sensation

MÜNCHEN taz ■ Erst nach dem Schlusspfiff erfuhr Oliver Kahn, dass auch das gegnerische Team einen Platzverweis zu verkraften hatte. Der Torhüter des FC Bayern hatte lediglich bemerkt, dass im Lokalderby gegen den TSV 1860 München sein Bayern-Kollege Hasan Salihamidzic mit einer roten Karte vom Platz geschickt worden war – was Schiedsrichter Herbert Fandel nach Sichtung der TV-Bilder übrigens als „Irrtum“ bezeichnete. Dass auch „Löwe“ Andreas Görlitz Gelb-Rot gesehen hatte, war dem Bayern-Mannschaftskapitän entgangen. „Ich war eben so konzentriert“, entschuldigte sich Kahn dafür später.

Was der FCB nämlich kaum für möglich hielt: Der TSV 1860 wehrte sich gegen die drohende, aber fast schon obligatorische Niederlage gegen den großen Rivalen. Mit mehreren Paraden musste Kahn die Fehler seines Teams wettmachen und verhinderte so, dass aus dem 1:0 noch ein Unentschieden oder gar ein Sieg für die Sechziger wurde.

Glanzlos, holprig, fast schon schusselig retteten die Bayern die 1:0-Führung, die aus einem Tor von Roy Makaay in der 34. Minute resultierte. Und ungewohnt waren die Aktionen der hochbezahlten Stars: Fehlpässe, Ungenauigkeiten, keine klare Linie im Spiel und das Fehlen jeglicher Souveränität und Überlegenheit, die die Bayern sonst gegenüber den Nachbarn ausstrahlen. Schlichtweg „unerklärlich“ war das für Trainer Ottmar Hitzfeld. „Nicht gut“, fand das auch Torschütze Makaay, der aber auch auf die drei gewonnenen Punkte verwies: „Das ist doch das Wichtigste.“

Auf der Habenseite des FC Bayern steht also ein Sieg, der zumindest den Anschluss an die Bundesliga-Tabellenspitze nicht verlieren lässt. Andererseits: Mut für kommende Aufgaben macht dieses Spiel auch nicht gerade. Mit der Gewissheit, schwach und angreifbar gewesen zu sein, müssen die Spieler heute in das Flugzeug steigen, das sie nach Glasgow bringen soll. Dort wartet mit Celtic ein Gegner in der Vorrunde der Champions League, der im heimischen Stadion über sechzigmal nicht mehr verloren hat – ein anderes Kaliber als der TSV 1860, der das siebte Stadtderby in Folge verloren hat.

„Wir müssen 50 bis 60 Prozent drauflegen, sonst brauchen wir dort gar nicht anreisen“, fasste Kahn die brenzlige Situation zusammen. Es könnte ungemütlich werden bei Celtic, das weiß auch Trainer Hitzfeld: „Ich gehe davon aus, dass es eine Schlacht wird“, mahnte der Trainer fast schon drastisch. Das Spiel in Glasgow aber müssen die Bayern schlichtweg gewinnen, um die Chance auf den Achtelfinaleinzug zu wahren – denn genau wie im vergangenen Jahr in der Vorrunde auszuscheiden, wäre für den Verein fatal.

Die „Löwen“ können nach dem Derby für sich verbuchen, dass sie kurz vor der Sensation standen, dass sie – vor allem in der zweiten Hälfte – beherzt auf den Ausgleich gedrängt hatten. „Schade, dass die Spieler sich dafür nicht belohnen konnten“, bemerkte 1860-Trainer Falko Götz, dem diese verpasste Gelegenheit zum Derbysieg oder zumindest zum Punktgewinn auch „ein wenig wehtat.“

Zumindest das Vorgeplänkel zum 198. Derby war wie immer: Mutige Sechziger und Bayern, die versprachen, sich trotz kommender Aufgaben auf europäischer Bühne erst einmal auf das Duell mit den „Löwen“ zu konzentrieren.

Doch dann kam die Nachricht, Sebastian Deisler leide an Depressionen. Es war keine neue Verletzung, die den Jungstar, der doch einst die größte Hoffnung des deutschen Fußballs verkörperte, nach einem überaus viel versprechenden Comeback wieder zurückwarf, sondern eine Nervenerkrankung. „Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe“, soll Deisler Manager Uli Hoeneß vor knapp zwei Wochen am Telefon gesagt haben. Seitdem wird der ehemalige Berliner stationär behandelt. Der FC Bayern und Deisler entschlossen sich, das Thema offensiv zu behandeln – mit Pressekonferenz von Hoeneß samt behandelndem Arzt. Der Tenor: „Der Mensch Sebastian Deisler ist jetzt wichtig, nicht der Fußballer. Wir hoffen, dass er bald wieder gesund wird.“

KATHRIN ZEILMANN