Arbeite – wer kann!

Die 40-Stunden-Woche hat dem Osten weder Arbeit noch Aufschwung gebracht. Jetzt probiert es der Westen. Na dann

BERLIN taz ■ In Deutschland ist der Streit über die Rückkehr zur 40-Stunden-Arbeitswoche voll entbrannt. Nachdem die Bundesregierung nur wenige Tage vor dem 9. November nach heftigen Protesten ihren Vorschlag zur Abschaffung des gesamtdeutschen Feiertages am 3. Oktober wieder zurückziehen musste, diskutieren nun Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Ökonomen, ob das Wirtschaftswachstum anzieht und der Aufschwung kommt, wenn die Deutschen länger arbeiten.

Davon gehen insbesondere Unionspolitiker, FDP und Unternehmer aus. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nannte die Einführung der 35-Stunden-Woche in Deutschland einen „Fehler“. SPD, Grüne und Gewerkschaften lehnten pauschale Arbeitszeiterhöhungen hingegen ab und sprachen von einer „Scheindebatte“.

Die Diskussion um längere Arbeitszeiten trifft vor allem den Westen der Republik. In den neuen Ländern hat die 40-Stunden-Woche nicht nur lange Tradition. Sie ist auch heute eher die Regel als die Ausnahme. Als Allheilmittel zur Stärkung der ostdeutschen Wirtschaftskraft und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze hat sich die längere Arbeitszeit allerdings nicht erwiesen. Noch immer hinkt der Osten den alten Bundesländern ökonomisch hinterher, die Arbeitslosigkeit ist nahezu flächendeckend doppelt so hoch.

Dennoch mahnten ostdeutsche Politiker am Montag, die Diskussion im Westen zu versachlichen. „Von Ostdeutschland lernen kann Deutschland voranbringen“, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Bundestag, Markus Meckel, der taz. Ob es allerdings zu einer Verlängerung der Arbeitszeit komme oder nicht, sei Angelegenheit der Tarifpartner. Als „absurde Geschichtsvergessenheit“ bezeichnete Meckel die Idee der Bundesregierung, den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober abzuschaffen. Finanzminister Hans Eichel (SPD) war vergangene Woche mit diesem Vorschlag gescheitert.

Auch die CDU-Fraktionschefin im Thüringer Landtag, Christine Lieberknecht, forderte den Blick in Richtung Osten. Längere Wochenarbeitszeiten seien „dem Westen zuzumuten“, sagte sie der taz. Auch wenn das die grundsätzlichen Probleme des Arbeitsmarktes nicht löse. Der Schweriner Arbeitsminister Helmut Holter (PDS) bezeichnete längere Arbeitszeiten als Unsinn. „Arbeit muss gerechter verteilt werden“, sagte er der taz.

Aus Anlass des 15. Jahrestags des Mauerfalls haben rund 50 Politiker, Künstler und Journalisten am Montag mehr gearbeitet – und auf Einladung der taz-Redaktion eine Ost-taz produziert.

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