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Der Friseur von Auschwitz

Józef Paczynski berichtet heute von seinem Überleben im Stammlager des KZs Auschwitz. Es war vermutlich seine Rettung, dass er dem Kommandanten Rudolf Höß die Haare schneiden musste

von Andreas Blechschmidt

Als der 19-jährige Józef Paczynski im Juni 1940 in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt wurde, ahnte er nicht, dass er die nächsten fünf Jahre an einem der zentralen Orte der Ermordung des europäischen Judentums verbringen würde. Józef Paczynski war beim Versuch festgenommen worden, nach Frankreich zu gelangen, um sich dort der neu gebildeten polnischen Armee anzuschließen.

Vom Krakauer Sicherheitsdienst überstellt, gehörte Paczynski dem ersten größeren Transport mit über 700 Deportierten in das neu entstandene KZ Auschwitz an. Als Häftling des so genannten Stammlagers wurde er einem Arbeitskommando zugeteilt, das das SS-Wachpersonal zu versorgen hatte. Auf Einladung des Hamburger „Arbeitskreises gegen das Vergessen“ wird Paczynski heute Abend im Kölibri von seiner Zeit in Auschwitz berichten. Er gehört zu den wenigen Überlebenden, die nahezu die gesamte Zeit des Stammlagers von Auschwitz überblicken können.

Das Konzentrationslager Auschwitz wurde auf Befehl des „Reichsführer-SS“ Heinrich Himmler ab Mai 1940 errichtet. Zu seinem ersten Kommandanten wurde Rudolf Höß ernannt. Ab Juni 1940 mussten polnische Häftlinge das für zunächst 10.000 Insassen konzipierte Lager auf einem ehemaligen Kasernengelände bauen. Bestehende Bauten wurden durch Pferdestallbaracken erweitert, die laut Wehrmachtsrichtlinien jeweils für 52 Pferde bestimmt waren. Die Lagerverantwortlichen pferchten bis zu 800 Menschen in jede dieser Baracken. So kam es, dass im März 1941 in diesem ersten Teil des KZ Auschwitz bereits fast 30.000 Menschen registriert wurden.

Die verantwortlichen deutschen Stellen hatten Auschwitz zunächst als Lager für die polnische Intelligenz vorgesehen, um einer entstehenden polnischen Widerstandsbewegung die führenden Köpfe zu nehmen. So ist es zu erklären, dass bis zum Herbst 1941 die überwiegende Mehrzahl der in Auschwitz inhaftierten politischen Häftlinge Polen wie Józef Paczynski waren. Erst nach einer Inspektionsreise Himmlers im März 1941 wurde die Errichtung des späteren Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die verantwortlichen SS-Stellen in Berlin beschlossen.

Als Mitglied eines Arbeitskommandos hatte Paczynski täglich mit dem SS-Personal zu tun. Nach verschiedenen Tätigkeiten wurde er zum persönlichen Friseur des Lagerkommandanten Höß und hatte in dieser Funktion sogar Zutritt zur Dienstvilla der Familie von Höß. Er wurde regelmäßig in die Höß-Villa befohlen, um dort dem Kommandanten die Haare zu schneiden und ihn zu rasieren. Dies geschah jedes Mal wortlos, da es Häftlingen streng verboten war, das Wort an das SS-Personal zu richten. Immerhin bedeutete Paczynskis Tätigkeit beim Lagerkommandanten einen gewissen Schutz für ihn. Eine schwere Fleckfieberinfektion überlebt Paczynski, da Höß persönlich seine Pflege auf der Krankenstation bis zur Gesundung anordnete. Andernfalls hätte ihm die Selektion und Ermordung durch eine Phenolspritze gedroht.

Im Januar 1945 wird Paczynski mit einem der letzten Transporte von Auschwitz nach Mauthausen verschleppt und schließlich befreit. Paczynski, der nach dem Krieg als Schuldirektor arbeitete, sagte in den Auschwitz-Prozessen als Zeuge aus. Noch heute engagiert sich der mittlerweile 81-Jährige als Vorsitzender des Krakauer Auschwitz-Komitees.

Heute, 19.30 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12

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