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Das Vater-Mutter-Kind-Korsett

Museen und Zoos bieten Familientarife, vergessen aber, dass es in der Stadt mittlerweile rund 140.000 Alleinerziehende gibt. Diskriminierung – oder nur eine Frage der Kontaktfreudigkeit?

VON MARINA MAI

Erst das Familienticket macht für manche den Museumsbesuch erschwinglich. So kostet ein Ticket im Botanischen Garten und im Jüdischen Museum jeweils 10 Euro. Eine Familie spart 2,50 Euro gegenüber dem Kauf von Einzeltickets. Voraussetzung ist eine ordentliche Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern. Alleinerziehende sind jedenfalls damit nicht gemeint, beim Besuch von Freizeit- und Kultureinrichtungen müssen sie meist den vollen Preis bezahlen – oder mindestens drei Kinder haben, um vom Familienticket profitieren zu können. Viele Angebote sind für Alleinerziehende schlichtweg ein Flop – und eine Preispolitik gegen die demografische Realität.

Das Naturkundemuseum zum Beispiel bietet Familienkarten für 7 Euro an. Eine Familie mit zwei Erwachsenen und einem bis drei Kindern spart damit das Eintrittsgeld für die Kinder. Eine Alleinerziehende würde mit einem Kind draufzahlen und mit zwei Kindern lediglich 50 Cent sparen. Erst das dritte Kind käme kostenlos hinein. Das private Sea Life Center & AquaDom Berlin subventioniert den Besuch von Kindern in Begleitung von zwei Erwachsenen mit rund 3 Euro pro Kind, wenn die Familie ein Familienticket kauft. Besuchen Kinder das Riesenaquarium nur mit einem Elternteil, ist Preisersparnis Fehlanzeige. Der Französische Dom schließt Alleinerziehende von Eintrittsermäßigungen aus. Im MACHmit! Museum für Kinder müssen Single-Eltern zwei Kinder haben, um zu sparen. Eine Familie mit zwei Erwachsenen bekommt hingegen den Eintritt auch subventioniert, wenn sie nur ein Kind hat. Auch für Mehrkindfamilien ist die Ersparnis höher, wenn zwei Erwachsene mitkommen.

Lediglich beim Kauf des Berliner Familienpasses, der eine Reihe von Eintrittsermäßigungen für Familien bietet, können Kinder von Alleinerziehenden von denselben Ermäßigungen profitieren wie Kinder mit beiden Eltern. Theoretisch. Denn ausgerechnet an Wochenenden und während der Schulferien, wenn Single-Mütter oder -Väter gemeinsame Zeit mit ihren Kindern verbringen, gilt diese Ermäßigung nicht.

Den Familienpass hat der Senat 1999 eingeführt, um Familien günstigere Besuche in Schwimmbädern, Kinos und Kultureinrichtungen zu ermöglichen. Der Pass wird vom Senat mit 307.000 Euro bezuschusst und kostet pro Familie 5 Euro, egal wie viele Erwachsene oder Kinder zur Familie gehören.

Zoo und Tierpark ermöglichen alleinerziehenden Familienpassinhabern mit einem Kind einmal pro Jahr eine Ermäßigung von 2 Euro. Hingegen rechnet sich der Familienpass für eine komplette Familie mit einem Kind bei Zoo und Tierpark richtig: Die Ersparnis beträgt dann 12 Euro.

Viele Einrichtungen nehmen das Problem nicht wahr. Auch vom Senat ist nichts zu erwarten: „Ich begrüße, wenn Kultureinrichtungen preisgünstige Angebote für Familien machen. Eine Kritik, dass sie nicht mehr tun, steht mir nicht zu“, erklärt Kenneth Frisse von der Jugendverwaltung.

Brigitte Zimmer, Sprecherin des Botanischen Gartens, versteht die Kritik nicht. „Das Familienticket kann auch eine Alleinerziehende nutzen, wenn sie die Oma mitnimmt. Oder sie teilt es sich mit einer anderen Alleinerziehenden.“ Dass es auch anders geht, zeigen Britzer Garten, Erholungspark Marzahn und die Bäderbetriebe: Hier erhalten gegen Abgabe eines Bons aus dem Familienpass alle Kinder der Familie kostenlosen Eintritt, egal wie viele Erwachsene sie begleiten.

Für Elisabeth Küppers vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter ist die Eintrittsgeldpraxis eine Diskriminierung der 140.000 Einelternfamilien der Hauptstadt. „Es ist organisatorisch aufwändig, sich erst eine Partnerfamilie zu suchen, bevor man in den Botanischen Garten fährt.“ Auch eine Zweckgemeinschaft, die sich erst an der Eintrittskasse bildet, sei schwierig: Einander Fremde erhalten eine gemeinsame Eintrittskarte. Muss sie mehrfach vorgezeigt werden, ist man aneinander gekettet.

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