Aufstand in Georgien

Opposition in Tiflis ruft zum Sturm auf weitere Regierungsgebäude auf. Präsident Schewardnadse kündigt Gesprächsbereitschaft über Neuwahlen an, wenn die besetzten Gebäude geräumt werden

TIFLIS ap/afp/dpa ■ Nach der Besetzung des Parlaments und des Präsidentenpalasts in Georgien hat die Opposition am Sonntag zum Sturm auf weitere Regierungsgebäude aufgerufen. Präsident Eduard Schewardnadse sagte am Sonntag in einer Fernsehansprache, er sei bereit, über vorgezogene Wahlen zu reden, wenn die Opposition die besetzten Gebäude räume. Andernfalls werde er den am Samstag verhängten Ausnahmezustand umsetzen. Die Opposition lehnte das Angebot des Präsidenten jedoch ab. Es sei „zu spät“ für solche Gespräche, sagte Oppositionsführer Michail Saakaschwili.

Rund 120 Soldaten der georgischen Nationalgarde seien zur Opposition gestoßen, sagte deren Kommandeur am Sonntag dem unabhängigen Fernsehsender Rustawi-2. Auf Live-Aufnahmen war zu sehen, wie die Soldaten sich den Protesten der Opposition vor dem Parlament anschlossen. Später stießen 50 weitere Soldaten zu den Demonstranten. Verteidigungsminister David Tewsadse hatte zuvor erklärt, er betrachte Schewardnadse nach wie vor als rechtmäßigen Präsidenten. Der Konflikt solle nicht mit militärischer Gewalt beendet werden. Falls die Situation eskaliere, müssten die Streitkräfte aber einschreiten.

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) äußerte sich besorgt über die Lage in Georgien. Die Bundesregierung rufe alle Seiten auf, „einen friedlichen und verfassungsmäßigen Weg aus den gegenwärtigen innenpolitischen Spannungen zu suchen“, erklärte er. Die italienische EU-Ratspräsidentschaft erklärte, sie verfolge „mit besorgter Aufmerksamkeit“ die Ereignisse in Georgien. Der EU-Kaukasusbeauftragte, Heikki Talvitie, wollte noch gestern nach Tiflis reisen, um zu einer friedlichen Lösung aufzurufen.

Saakaschwili forderte, das Innenministerium müsse gestürmt werden, falls Schewardnadse versuche, das von der Opposition boykottierte Parlament dort zusammenzubringen. Mit dem Sturm auf das Parlament war die konstituierende Sitzung der am 2. November gewählten neuen Volksvertretung unterbrochen worden. Anschließend hatte sich Nino Burdschanadse, die Präsidentin des vorherigen Parlaments, zur Übergangspräsidentin erklärt. Sie werde bis zu vorgezogenen Parlaments- und Präsidentenwahlen in 45 Tagen amtieren. Die Parlamentswahl vor drei Wochen wurde nach Einschätzung von Opposition und internationalen Beobachtern manipuliert.

Burdschanadse erklärte am Sonntag, die Opposition sei mit einigen Ministern Schewardnadses im Gespräch. Der russische Außenminister Igor Iwanow bemühte sich um eine Vermittlung zwischen den Oppositionsführern und dem Präsidenten.

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