Das Etwas gewordene Nichts

Die Stimmung, das Gefühl, der Trend: Die Ausstellung „Higher Truth 2“ im Büro Friedrich inszeniert das ultimative Shopping-Erlebnis – ohne Ware allerdings und fast ohne Kauf. Einzig und allein eine schmale Mappe mit Essays gibt es zu erwerben

VON KATRIN KRUSE

Die beiden Damen haben die verhalten lächelnde Front dem Käufer zugewandt. Sie gehen langsam, die Köpfe mit den sorgsamen Frisuren erhoben, hinter den Verkaufstresen auf und ab, wie gefangene Tiere, die die Bewegung nur mehr als Erinnerung an die einstige Rastlosigkeit vollziehen. Gemessenheit, das ist das Tempo des Raumes. Im Hintergrund diskrete Technobeats, im Vordergrund die sorgsam konzeptionierte Leere; das Nichts, das Atmosphäre ist und damit zu Etwas wird.

Mattes Licht erhellt von innen die Plexiglaswände. Wem die Tür geöffnet wird, wer in den Raum hineingeht, an der angedeuteten Verbeugung des jungen Mannes vorbei, der mag in der Tat empfinden, dass er eine andere Welt betritt. Als „Paralleluniversum“, so führt die Ausstellung „Higher Truth 2“, die derzeit im Büro Friedrich unter den S-Bahn-Bögen an der Jannowitzbrücke zu sehen ist, die Welt der Mode vor.

Was das Kollektiv niederländischer Künstler, Designer und Theoretiker inszeniert, ist das ultimative Shoppingerlebnis – ohne Ware allerdings und fast ohne Kauf. Was es zu erwerben gibt, ist einzig und allein die schmale Mappe mit Essays: Gebrauchsanleitung des Raumes, in den man eingetreten ist. Doch braucht es die Beschreibung?

Was vermöchte den Mehrwert, der hier inszeniert werden soll, besser zu vermitteln als der manikürte Fingernagel der Dame, der langsam das Seidenpapier entlangstreift, in das die schmale Mappe nach dem Erwerb eingeschlagen wird? Die Visitenkarte wird dazugelegt; sie ist unbedruckt, so weiß wie das kartonierte Shoppingbehältnis. Es ist ein Ritual, das hier vollzogen wird, ein Einweihungsritus, in dem die Ware nicht mehr ist als das Vehikel.

Seine Teilnehmer erkennen sich an den großen weißen Tüten; ein wenig lächerlich erscheinen sie, überproportional angesichts der wenigen Seiten, die sie transportieren. Und doch, so vermittelt „Higher Truth 2“, können sie nicht groß genug sein. Denn die Taschen sind nicht Träger der Ware, sondern Zeichen für deren Überführung ins Spirituelle, die sich in der Welt der Brands längst vollzogen hat.

So hat „Higher Truth“ nicht nur zeitlich einen Bezug zu „Content“, der Ausstellung des niederländischen Architekten Rem Koolhaas in der Neuen Nationalgalerie – einen Bezug, auf den das Büro Friedrich selbst gern verweist, indem die Diskussion zu „Higher Truth“ ebendort stattfindet. Koolhaas hat sowohl für als auch über die Mode gearbeitet; er hat Stores für Prada entworfen sowie das „Project on the City“ der Harvard Design School mit ins Leben gerufen. Dort geht es um die Frage nach den Auswirkungen der Modernisierung auf die Gestalt des Urbanen.

Der kürzlich erschienene Band über Shopping geht von der These aus, das moderne Stadtleben sei durch nichts so sehr bestimmt wie durch den Kauf. Shopping dringe in alle Bereiche, zugleich näherten sich alle Bereiche der Struktur des Shoppings an. Eine gegenseitige Umarmung also, in der es nicht mehr um die Ware und den Tausch geht, sondern um das Erlebnis, das sich um den Kauf und die Ware bildet. „Higher Truth“ imitiert dieses Verfahren der Markenwelt, löst das Erlebnis von seinem Akt und befreit so das Shopping endgültig aus seiner materiellen Beschwerung. Zugleich weist der Name darauf: „Higher“; Christian Dior, „Truth“; Calvin Klein.

Die Welt der Mode ist die Welt der Brands, diese Gleichung legt die Ausstellung nahe. Das „Paralleluniversum der Mode“ ist eine Welt, in der das Visuelle dominiert und Bedeutung nur mehr atmosphärisch ist: die Stimmung, das Gefühl, der Trend. Doch kaum ist das Materielle abgestreift, möchte man schon wieder wissen, was denn hinter den schönen Bildern steht. Dass da nichts ist als das Image, scheint Unbehagen zu bereiten. „Will the bubble burst?“ – Wird die Blase der Images platzen? – ist denn auch die Frage, die die Diskussion in der Neuen Nationalgalerie einleitet. Dort versucht man, die konsumweltlichen Veränderungen als Vorrang des Tauschwerts vor dem Gebrauchswert der Ware zu fassen oder den lästigen Scheinweltgedanken mit einem lässigen „Was ist Realität?“ einfach ganz abzuwenden.

Mit derart in den Raum geworfenen großen Fragen lässt sich noch jedes Gespräch ins Aus befördern. Doch betrachtet man die Ausstellung, stellt sich eine andere Frage. Ist das Faszinierende an der Mode wirklich, dass sie Markenwelten hervorzubringen vermag? Das Etwas gewordene Nichts: Ist das alles, was Mode sein kann? Mehr als ein „Tempel der Mode“, wie es im Begleittext heißt, scheint „Higher Truth“ ein Tempel der Ware im Zeitalter der Brands. Die Grunderfahrung in diesem Tempel vermittelt „Higher Truth“ sehr eindrucksvoll. Über das, was Mode kann, ist damit jedoch noch längst nicht alles gesagt.

„Higher Truth 2“, bis 10. 1., Büro Friedrich, Holzmarktstr. 15–18, Mitte