in fußballland
: Keine Chance für den Netzerismus

CHRISTOPH BIERMANN darüber, dass sich der Fußball, im Gegensatz zur Musik, nicht für nostalgische Trips in die Vergangenheit eignet

CHRISTOPH BIERMANN, 43, liebt Fußball und schreibt darüber

„Those were the days, my friend“, singe ich im Karneval durchaus mit und beschwöre anschließend auch gerne eine imaginäre „superjeile Zick“ von früher, von der ich allerdings nicht weiß, wann sie eigentlich gewesen ist. Mir fehlt bei aller Neigung zu Sentiment und rührseligem Kitsch nämlich ein Gen (oder vielleicht ist auch in der Erziehung etwas falsch gelaufen), das mich nostalgisch werden lässt. Vielmehr gehe ich grundsätzlich davon aus, dass früher alles schlechter war. Und sei es nur aus vorauseilendem Trotz gegenüber jenen, die damit nerven, dass früher alles besser war.

Nick Hornby hingegen hat dieser Tage in Köln auf selten kunstvolle Art und Weise vergangene Zeiten in die Gegenwart zu überführen versucht. Der Schriftsteller hat nämlich eine Band gefunden, die zwar im weitesten Sinne jung und von heute ist, aber alle Ideen des Schriftstellers von einem guten Rock-’n’-Roll-Gestern verkörperte. Erwartungsgemäß machte mir Marah, wie die Band aus Philadelphia heißt, keinen großen Spaß, um es freundlich zu formulieren. Faszinierend hingegen war es dennoch, wie Hornby in Form von Prosa & Rock seine Erinnerungen an Musik mit dem kurzschloss, was die Band neben ihm auf der Bühne dann spielte.

Hornby lieferte auch einen erneuten Beleg dafür, dass in Musik Erinnerungen aufgezeichnet werden. Wenn der Autor heute The Faces hört, erinnert er sich an eine miserable 15-jährige Ausgabe von Nick Hornby, die damals so tat, betrunkener zu sein, als das Geld gereicht hatte. (Man kann selbstverständlich auch heitere Dinge aufzeichnen, Musik ist nicht wählerisch.) An diesem Abend erschien Hornby als der Nostalgiker, der er in Sachen Fußball nicht ist. Dem holländischen Fußballmagazin Hard Gras verriet der Arsenal-Fan kürzlich, dass er nicht mehr den alten Nordlondoner Rivalen Tottenham Hotspur hassen würde, sondern Manchester United. Bei Arsenal geht es schließlich nicht mehr um die Vorherrschaft im Stadtviertel, sondern im ganzen Land.

Überhaupt ist Fußballnostalgie weit weniger verbreitet als Musiknostalgie. Es gibt genug Menschen, die wahlweise in den Rolling Stones, Clash oder Nirvana den Höhepunkt der Popgeschichte erreicht sehen, während niemand ernsthaft behaupten würde, dass Bayern München 1973, Argentinien 1982 oder der FC Porto 2004 irgendwelche Endpunkte irgendwelcher Entwicklungen im Fußball markieren. Selbst der Netzerismus und das (berechtigte) Lobpreisen des deutschen Europameisters von 72 hat sich im Laufe der Jahre als Modell nicht durchgesetzt. Vielleicht liegt’s auch daran, dass beim Fußball eine Beschreibung in Zyklen von Aufstieg und Verfall bereits mit den wechselnden Tabellenständen stattfindet.

So recht hat sich fußballimmanente Nostalgie jedenfalls nicht durchsetzen können. Wer will schon hören, dass Fußball in den Fünfziger- oder Achtzigerjahren viel besser war? Die Realzeitlupen aus jener Zeit widersprechen dem sofort, und dann sitzt man im Stadion auch noch eine Reihe vor einem Fußballgott aus den Siebzigern und schlägt die Hände überm Kopf zusammen, weil er das Spiel von heute immer noch mit dem Blick von damals anschaut. Man könnte sich auch kein fußballerisches Äquivalent zur Musikzeitschrift Mojo vorstellen, in der etwa noch einmal die aufregende Saison 1966/67 aufbereitet wird. Oder doch?

Fußball ist vor allem jetzig, und vergangene Spiele speichern die Erinnerungen im geringeren Maße, als Musik das tut. Außerdem hält Fußball eher das Kollektive fest, 1954 für eine ganze Nation und immer wieder für eine Region. Allein die Vorstellung jedoch, die Aufzeichnung einer Sportschau-Sendung vom 14. Spieltag der Saison 1976/77 anzuschauen und zu erwarten, wie angesichts der Spielszenen von Bochum gegen Bayern wieder aufscheint, wie sehr man damals in Gabi, Susi oder Ute verliebt und welch schweren Herzens man ins Stadion gegangen war, ist absurd. Kaum legt man aber die richtige Schallplatte auf, könnte man das wieder abrufen. Muss man aber nicht, es gibt schließlich immer etwas, das man noch nicht gehört hat.