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Frist ohne Gnade

Westeuropäische Verlage brandroden die Presselandschaft in Osteuropa – jetzt nimmt sich der Schweizer Ringier-Verlag Ungarn vor

VON KENO VERSECK

Es war wohl ehrlich gemeint, aber es klang schlicht zynisch: „Unabhängigkeit ist derzeit noch nicht marktfähig in Ungarn.“ Mit dieser Bemerkung kündigte Béla Papp, Verlagschef des Schweizer Pressekonzerns Ringier in Ungarn, Ende vorletzter Woche an, dass er die linksliberale Tageszeitung Magyar Hírlap (Ungarische Presse) einstellen wird.

Redaktion und Leserschaft reagierten entgeistert: Ungarns einzige wirklich unabhängige Tageszeitung vor dem Aus? Ringier gab dem Blatt eine Gnadenfrist von einer Woche. Die lief letzten Freitag ab, ohne dass ein neuer Verleger gefunden war. Das Angebot der Redaktion, bis Jahresende ohne Gehalt zu arbeiten, um doch noch einen Investor zu finden, hatte Ringier abgelehnt – die Trennung geriet zum Eklat: Ringier ließ die Redakteure binnen Stundenfrist und im Beisein von Sicherheitskräften ihre Arbeitsplätze räumen.

Für Ringier ist es bereits der zweite Presseskandal in Osteuropa in wenigen Wochen. In Rumänien besitzt der Schweizer Konzern unter anderem die Tageszeitung Evenimentul zilei. Deren Redaktion beschwerte sich Mitte September über Einmischung in redaktionelle Angelegenheiten (taz berichtete). Tatsächlich sind unabhängige politische Tageszeitungen nicht das Stammgeschäft von Ringier, auch nicht in Osteuropa. Der Konzern besitzt neben Zeitungen und Magazinen in Ungarn und Rumänien auch Blätter in Tschechien, Serbien und der Slowakei, meist Boulevardzeitungen und Unterhaltungsmagazine.

Magyar Hírlap passe nicht mehr ins Ringier-Profil in Ungarn, mutmaßen bisherige Redakteure. Die Redaktion bringt nun eine neue Zeitung unter dem Namen Pont (Punkt) heraus; die Nullnummer erschien gestern. „Im Geist der alten Zeitung werden wir etwas Neues machen“, sagt der ehemalige Magyar-Hírlap-Chefredakteur Pál Szombathy.

Magyar Hírlap war eine traditionsreiche ungarische Zeitung, die mit einigen Unterbrechungen auf eine 150-jährige Geschichte zurückblickt. Seit 1989 erschien sie als unabhängige Tageszeitung.

Im polarisierten politischen Spektrum des heutigen Ungarn gab es offenbar nicht mehr genügend Käufer für Magyar Hírlap. Die Verluste sollen sich laut Ringier in den letzten vier Jahren auf umgerechnet rund 6 Millionen Euro gehäuft haben; die Auflage sei zwar in letzter Zeit gestiegen und habe zwischen 26.000 und 28.000 verkauften Exemplaren gelegen, die angestrebte Zahl von 35.000 aber verfehlt.

Das war jedoch nicht der einzige Grund für die Schließung – womöglich nicht einmal der Hauptgrund. Ringier besitzt in Ungarn bereits Anteile an der Tageszeitung Népszabadság und will Mehrheitseigentümer des Blattes werden. Dafür muss sich der Konzern nach ungarischem Wettbewerbs- und Kartellrecht jedoch von Magyar Hírlap trennen. Um das schnell über die Bühne zu bringen, so Exmitarbeiter, lehnte Ringier das Angebot der Redaktion ab, bis Jahresende ohne Gehalt zu arbeiten. Dabei hat es laut dem ungarischen Onlinenachrichtendienst index.hu mehrere ernsthafte Interessenten gegeben.

Nach dem Eklat zwischen Ringier und der Magyar-Hírlap-Redaktion erschien nicht einmal mehr die für letzten Sonnabend angekündigte Schlussnummer der Zeitung. Die Abschiedserklärung der Redaktion erschien daraufhin in Magyar Nemzet. „Ringier spielt Marketingspielchen mit einer fundamentalen Institution der Demokratie“, heißt es darin. „Wir hätten nicht geglaubt, dass das heute in Ungarn, einem EU-Mitgliedsstaat, möglich ist.“

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