steffen grimberg
: Fäzzchen für die Handtasche

Edle britische Zeitungen kommen nun mit Boulevard-Ausgaben auf den Markt. Geht es jetzt endlich unter, das Abendland?

Achtung: Aufregung! Die altehrwürdige Londoner Times wird zum Tabloid. Ab Morgen gibt es das Blatt, das früher, frisch vom Butler gebügelt, seiner Lordschaft den Early Morning Tea versüßte, im gleichen Format wie die Massenblätter Sun, Daily Mirror oder Daily Star. Und nur ein Zyniker würde sich trauen, darauf hinzuweisen, dass die Times vom Inhalt her doch längst in diese Richtung unterwegs war, seit sie 1981 von einem gewissen Keith Rupert Murdoch übernommen worden war.

Tabloid ist eben nicht nur ein Zeitungsformat – das Gegenteil heißt aus gutem Grunde „Broadsheet“, wörtlich übersetzt „weiträumiges Blatt“, und erfordert bei der Lektüre in überfüllten U-Bahnen mindestens einen Papierfaltkurs auf Fortgeschrittenenniveau. Tabloid ist auch eine Weltanschauung.

Was hat die arme Times nicht alles mitmachen müssen: Der königliche Terminkalender Court Circular und die Kleinanzeigen wurden von der Titelseite verbannt und so die letzten Reste des britischen Empire zugunsten schnöder Nachrichten über Bord geworfen (übrigens lange vor Murdoch). Und schließlich Rupert Murdoch, unter dem es bisher zwar keinen Tag Produktionsausfall gab, aber eben eine Politik der Absenkung von Preis und Niveau, damit das in Ehren ergraute Blatt bunter und massenkompatibler wurde.

Doch was in Deutschland undenkbar wäre – können Sie sich ein Fäzzchen im Handtaschenformat vorstellen? –, hat Murdoch in Wahrheit nur geklaut. Gleich nebenan, beim Independent. Der erscheint schon seit einem Monat sowohl als Broadsheet als auch als Tabloid – und hat mit dieser Masche erstaunlicherweise Erfolg. Denn inhaltlich sind beide Ausgaben natürlich völlig identisch.

Britische Kritiker warnen dennoch vor der schönen neuen Welt der Doppelpacks: Wenn das Format schon nichts mehr über den Inhalt aussage, gehe doch der Markenkern, das Image, verloren. Und falls Sie, liebe LeserInnen, sich immer noch fragen, wie groß bzw. klein so ein Tabloid jetzt genau ist – nun ja, ungefähr so wie die taz.

Der Markenkern wiederum muss jetzt für eine etwas schwache Überleitung herhalten. Auf das heutige ZDF-Programm nämlich. „Made in Germany – die lange Nacht der Kultmarken“ (0.45 Uhr) Oder: Lerne werben, ohne rot zu werden. „In der langen ZDF-Nacht der Kultmarken werden etwa 30 Marken (…) porträtiert, und es wird ein nostalgisches Wiedersehen mit alten Werbespots geben“, raunt der Pressetext. Liebe Mainzer, wenn ihr euch schon so rührend um Einnahmequellen zur Entlastung von uns armen Gebührenzahlern kümmert, dann nehmt’s doch bitte wenigstens frische!