Leihstimmen für die Brandstifter

Die NPD jubelt und Initiativen gegen rechts sind schockiert. Doch Extremismusforscher glauben nicht, dass die Rechtsextremen langfristig von dem Wahldebakel profitieren

BERLIN taz ■ Für CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt war es ein schmachvoller Zwischenfall, für die NPD die Krönung einer monatelangen Erfolgsserie in Sachsen. Den Rechtsextremen hätte nichts Schöneres passieren können als solch ein Resultat: wenigstens zwei Leihstimmen aus dem demokratischen Lager für den Möchtegern-Ministerpräsidenten der NPD. In beiden Wahlgängen.

Die offizielle Auslegung des Ergebnisses aus der Berliner NPD-Zentrale ließ nicht lange auf sich warten. Schon zwischen beiden Wahlgängen frohlockte ein Parteisprecher: „Die Front gegen die NPD weicht auch in den Parlamenten immer mehr auf.“ Das sei eine „Steilvorlage“ für die weitere Entwicklung seiner Partei und ein „sehr starkes Signal an die Wähler“. Schließlich beweise das Votum: „Die NPD findet selbst bei Abgeordneten anderer Parteien inzwischen Akzeptanz.“

Diese NPD-Interpretation des Milbradt-Debakels ist mit ziemlicher Gewissheit so falsch wie das Gros der vermeintlichen Tatsachen, mit denen die rechtsextremen Strategen ihre Werbefeldzüge bestreiten. Aber sie passt vortrefflich ins PR-Konzept der Partei. Nach Jahren der Erfolglosigkeit schickt sich die NPD seit einigen Monaten mit ihrer Strategie der „Volksfront von rechts“ an, endlich wieder breitere Wählerschichten zu erobern – nicht nur in Sachsen, sondern auch bundesweit. Schon im Wahlkampf in Sachsen schmückte sich die Partei dafür mit bieder wirkenden Kandidaten wie dem Fahrlehrer Uwe Leichsenring aus Königstein und dem Sebnitzer Arzt Johannes Müller. Sie profitierten von ihrem Image als Vertreter des kleinstädtischen Establishments, fraßen für die Wähler Kreide, wenn es politisch nützlich schien.

Dass mit Leichsenring nun einer der Prototypen dieser Verharmlosungsstrategie zwei Leihstimmen aus dem demokratischen Lager erhielt – Vertreter zivilgesellschaftlicher Initiativen in Ostdeutschland empfinden dies als Affront: „Wir versuchen, im Alltag mühsam vor der Gefahr des Rechtsextremismus zu warnen, und nun wird die NPD im Landtag leichtfertig verharmlost“, empört sich Roman Ronneberg vom Verein Miteinander in Halle. Ihm ist es „völlig unverständlich“, wie Repräsentanten demokratischer Parteien nur wenige Wochen nach dem öffentlichen Entsetzen über den Wahlerfolg der Rechtsextremen einen solchen „Tabubruch“ wagen konnten. Ronnebergs Befürchtung: Die Abstimmung wird ein „fatales Signal“ an die NPD-Wähler senden, die verfassungsfeindliche Partei weiter „hoffähig“ machen.

Politologen halten diese Sorge jedoch für übertrieben. „Die NPD wird zwar versuchen, diesen Zwischenfall als riesigen Triumph auszuschlachten, sie wird davon aber nicht groß profitieren“, urteilt der Chemnitzer Extremismusforscher Eckhard Jesse. Denn auch der breiten Öffentlichkeit dürfte nicht entgehen, was Volksvertreter demokratischer Parteien überraschend zu vermeintlichen NPD-Sympathisanten werden ließ, sagt Jesse: Milbradt sollte „eins ausgewischt“ werden – von wem auch immer. Zudem habe die NPD-Spitze den Anschein der Harmlosigkeit gleich nach der Wahl in Sachsen selbst wieder zunichte gemacht, unter anderem mit Sympathiebekundungen für Hitler.

Diese Ansicht teilt auch NPD-Kenner Henning Flad von der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). In einigen Wochen werde sich niemand mehr an die Abstimmung erinnern, meint der Wissenschaftler. Daher sei das Debakel zwar ein „kleiner PR-Erfolg“ für die NPD. Einen großen Schub für die Partei erwartet der Politologe aber nicht.

ASTRID GEISLER