Harmonie im Parlament

Bürgerschaft will sich nicht länger exekutieren lassen: Änderung der Landesverfassung bringt ministerielle Kungelrunden in Verlegenheit

Ein Abstimmungsergebnisfür die Annalen der Bürgerschaft:Der Vorschlag der Opposition wird ohne Gegenstimme angenommen

Bremen taz ■ Draußen scheint die Sonne und drinnen herrschen eitel Freude und Harmonie: So einig kann die Bürgerschaft sein, wenn es darum geht, die Herren im Rathaus zu piesacken. Ganz ohne dass von dort lautes Gepolter zu erwarten wäre, weil es um hehre Dinge geht, den Föderalismus, zum Beispiel. Und ohne den bestehenden Interessenkonflikt ansprechen zu müssen.

Man kann es, wie Karoline Linnert (Grüne) es tut, als sie den Antrag vorstellt, den Artikel 79 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen zu verändern. Und zwar so, dass der Senat künftig der Bürgerschaft „Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben“ und diese sogar „zu berücksichtigen“ habe. Und sogar, dass der Senat „in Angelegenheiten, die Gesetzgebungszuständigkeiten der Bürgerschaft wesentlich berühren“ das parlamentarische Votum „maßgeblich zu berücksichtigen“ habe.

Aber wie gesagt: Man muss es nicht als Konflikt darstellen, wie Jörg Kastendiek (CDU) beweist, der lediglich anmerkt, dass „viele Entscheidungen nicht mehr nachvollziehbar“ wären. Und der findet, dass bei dem Vorhaben „jeder Parlamentarier zustimmen“ könne. Womit freilich erst einmal nur die Sache gemeint ist, noch nicht der Wortlaut, den nun ein Ausschuss noch drehen und wenden und feilen wird, bis ins kommende Frühjahr.

Dass er dann allerdings die nötige Zweidrittelmehrheit erhält, davon ist auszugehen: Einmütig stimmte die Bürgerschaft für die Einrichtung des Gremiums. Obwohl es doch ein Vorschlag der Grünen-Opposition war. „Ich kann mich nicht daran erinnern“, stellt Linnert in einer Sitzungspause klar, „dass das in dieser Sitzungsperiode schon einmal der Fall war.“

Wenig attraktiv für Journalisten: Eine Debatte, die keine ist, eine Diskussion ohne Gegenpositionen. Aber auch Unumstrittenes kann bedeutsam sein. Bislang nämlich ist der Senat lediglich „verpflichtet, die Bürgerschaft oder die zuständigen Ausschüsse oder Deputationen über die Vorbereitung von Gesetzen sowie über Grundsatzfragen der Landesplanung, der Standortplanung und Durchführung von Großvorhaben frühzeitig und vollständig zu unterrichten“. Für die Zusammenarbeit mit dem Bund, den Ländern und der Europäischen Union gilt allerdings selbst das nur, wenn es sich um „Gegenstände von wesentlicher Bedeutung“ oder mit erheblichen finanziellen Auswirkungen handelt – was relativ dehnbare Kriterien sind. Hinreichend wären die vielleicht, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Parlament und Regierung stimmen würde. Das aber ist nachhaltig erschüttert, seit das Rathaus am – Haushaltsausschuss vorbei – der Privatuni IUB 15 Millionen Euro vom Energieversorger Eon zusteckte.

Die angestrebte Änderung der Landesverfassung steht auch im Zusammenhang mit der bundesweiten Föderalismusdebatte: „Landesparlamente stärken!“, hatte der Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente im März 2003 in der so genannten Lübecker Erklärung appelliert.

Das Problem: Die gesetzgeberische Gewalt der Landtage ist im Schwinden begriffen. Im Bundesrat sind nur die Landesregierungen am Gesetzgebungsverfahren beteiligt, und auf EU-Ebene haben die Landesparlamente so gut wie keinen Einfluss – sie müssen nur die Vorschriften umsetzen.

Die Entscheidungen werden, so hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier die Lage im Mai 2004 resümiert, „nicht mehr in einem öffentlichen parlamentarischen Verfahren getroffen“, sondern zwischen den Regierungen der beteiligten Staaten ausgehandelt.

Klassisches Beispiel dafür sind die institutionalisierten Meetings der Fachminister. Die Kultusministerkonferenz etwa, die es seit 1948 gibt. Ihr sinnvolles Ziel ist die Sicherung einer gemeinsamen und vergleichbaren Grundstruktur der Bildungsgänge. Fragwürdig allerdings ist ihre demokratische Legitimation. Weniger staatstragend könnte man die Entscheidungsgremien auch als ministerielle Kungelrunden bezeichnen.

Die Folge für die Landtage: Sie werden Abnickgremien, wobei der Verfassungsrechtler sagt: Ihre Funktion habe sich „auf die einer ,Ratifikationsinstanz‘ ohne wesentliche eigene Gestaltungsmacht verkürzt“. Gleichgewicht der Gewalten sieht anders aus.

Was dem einen fehlt, hat der andere zu viel – also bedeutet die Änderung, dass der Senat etwas abgeben muss. Das tut er nicht so gern, munkelt man. Denn überschaubare Ministerrunden lassen sich schneller auf einen Konsens einschwören als ein Parlament. Aber Verlautbarungen zufolge heißt es im Rathaus, das Volk sei der Souverän – und der werde durch die Bürgerschaft vertreten. Da gebe es überhaupt keine Probleme. Die Sonne scheint eben auch in Bremen für alle gleichermaßen.

Benno Schirrmeister