: berliner szenen Am Winterfeldtplatz
Von 22 bis 23 Uhr
Ich kenne solche Stimmungen von der Zeit her, als ich noch Taxi fuhr. Der Regen hat gerade aufgehört. Der Platz ist feucht und glänzt von den umliegenden Lichtern. Wenn ein direkt am Platz geparktes Auto startet, lassen die Scheinwerfer den Boden davor hell aufleuchten. Steht der Wagen mit dem Heck zum Platz, leuchtet es rot. Ganz wild wirken in solchen Stunden tiefe Pfützen wie die in dem Straßenabschnitt neben dem Platz: Wenn sie im Schatten liegen, werden sie schwarz wie ein Abgrund.
Eigentlich hatte ich ja gar keine Lust, während dieser vorletzten Dienstagsstunde am Winterfeldtplatz einen auf Sensationen-im-Kleinen-Entdecken zu machen. Aber diese Lichtspiegelungen bei Nacht waren toll. Und einmal stand während meines Rundgangs ein Baum im Gegenlicht einer Laterne: Alle Äste waren mit dicken Tropfen behangen, und diese Tropfen waren kleine, runde, wie von innen erleuchtete Punkte. Fast wie Glühwürmchen sah das aus. Wenn mich dieses Bild nicht nach zehn Sekunden doch wieder gelangweilt hätte, hätte ich fast glücklich sein können. Einen Augenblick lang hatte ich jedenfalls diesen Thoreau-Impuls, einen Baum zu umarmen. Als Einsiedler am Winterfeldtplatz so wie Thoreau an seinem Waldsee – warum eigentlich nicht?
Genauso viel Spaß hat mir dann allerdings der Vater von vergangener Woche gemacht, der mir in dieser Stunde noch einmal durchs Bild lief. Zielstrebig eilte er um 22.55 Uhr, diesmal ohne Kinder, ins „Slumberland“. Durchs Fenster sah ich ihn dann mit einem anderen Mann am Tresen sitzen und Hefeweizen trinken. Man sieht so was, und schon hat einen die Zivilisation wieder. DIRK KNIPPHALS
(23 bis 24 Uhr: kommenden Freitag)