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In dir das Schlachtfeld

Prunksters (7) – die wöchentliche Kolumne aus den USA von Henning Kober. Heute: Anna und Sean

Es ist der Geburtstag der Mutter. Um den Tisch sitzt ein Clan und applaudiert den frisch ausgeblasenen Kerzen. In die folgende Sekunde der Stille sagt eine fremde Stimme deutlich: „Ich möchte Anna sehen.“ Die, erstaunt, fragt: „Wer bist du?“ Er: „Lass uns in die Küche gehen.“ Sie: „Ist das ein Scherz?“ „Nein.“ Sie gehen in die Küche, Anna stellt sich sicher entfernt ihm gegenüber, wiederholt: „Was möchtest du?“

– Dich

– Du möchtest mich, hast du das gerade gesagt?

– Du bist meine Frau. Ich bin Sean.

Es schauen sich in die Augen: Anna, ihr Gesicht schmal und eisschön. Der Mund silbermatt geschminkt, Glanz in den Augen, die Nase ein schmaler Strich, braune Haarsträhnen fallen ihr in die Stirn. Sie ist eine hübsche Frau Mitte dreißig, die an der Upper East Side zu Hause ist. Ihr Mann, Sean, ist vor zehn Jahren beim Joggen gestorben. Gegenüber steht Sean, einen Strich durch die Augenbraue rasiert, roter Hauch an den Backen. Er trägt das Gesicht eines Jungen.

Es ist eine frostig einsame Nacht, im Hals sitzt ein Schmerz, die Stimmung flackert unverständlich. Ich kann das Haus nicht verlassen und sitze auf meinem Bett. Ein Hurra auf die modernen Zeiten, die mich trotzdem zwei Prunksters treffen lassen. Auf dem iBook spannen die Bilder von „Birth“. Das ist ein großer New-York-Film, der zudem die Ehre hat, erstes großes Werk von Nicole Kidman zu sein. Und sie verdankt es Cameron Bright, 12 Jahre, aus British Columbia, ein frischer Schiller am Kinderstar-Himmel. Er trägt gerne lila Latex-Anzüge und nennt sein Hobby „Counter-Strike spielen“.

Was zwischen Anna und Sean passiert, ist ein extremer Einbruch in die Psyche eines anderen Menschen. Sicher ist beiden: „Du bist nicht mein Mann.“ „Du bist meine Frau.“ Doch offenbar ist dieser kleine Junge so sehr Sean, dass beide bald in einer Kutsche durch den Central Park fahren und Anna fragt: „Hast du es schon einmal gemacht?“ Sean antwortet klug: „Du wirst die Erste sein.“ Er zieht in ihr Apartment.

Annas Mutter droht mit der Polizei, aber Anna steigt mit dem Jungen in die Badewanne. Sie küssen sich. Die Fragen sind: Was liebst du an deinem Geliebten, Körper, Geist? Welche Beziehung ist zulässig, eine Frau und ein kleiner Junge? Das Schlachtfeld ist nicht die Gesellschaft, sondern das Bild von dir in dir. Am Schluss steht eine Braut in den Wellen. Ob sie ertrinkt, man weiß es nicht.

prunksters@taz.de

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