Die Basis der Basis

Angela Merkel will nicht, dass die CDU-Parteibasis über die Kanzlerkandidatur entscheidet. Recht so. Zwar hätte sie sich damit in guter Tradition befunden – aber ihre Partei in den Alkoholismus getrieben

VON HELMUT HÖGE

Angela Merkel ist gegen eine „Basisbefragung zur K-Frage“ (Kanzlerkandidatur), aber für eine „Urwahl in B-W“ (Baden-Württemberg) – um dort den neuen Ministerpräsidenten herauszumendeln. Ersteres möchte sie lieber zwischen CDU und CSU auskungeln – im Adlon. Das ist die alte Formel: „Global denken, im Lokal essen!“

Die CDU hat derzeit, ähnlich wie die SPD nach Schmidt, ein „K-Problem“ (Kadermangel) – nicht nur auf Bundesebene: In Berlin will sie sogar wieder auf Diepgen zurückgreifen. In einer solchen Situation haben schon ganz andere die „Basis“ entdeckt: die Bolschewiki beispielsweise, indem sie vorübergehend den Rätekommunismus forcierten. Bei dieser Basisdemokratie ist die Form bereits der Inhalt. Das konnte beim so genannten demokratischen Zentralismus zur Staatslenkung nicht lange gut gehen, so dass die gewählten Sowjets (Räte) bald ebenso Staffage waren, wie die Kampfformationen der Partisanen, die ihre Kommandeure selbst wählten und über Aktionen abstimmten, nur noch für die Propaganda taugten. Nicht weniger schmählich verendete zur gleichen Zeit in Deutschland die proletarische Selbstorganisation der „Betriebsräte“. Immerhin warb noch ab 1945 die CDU eine Zeit lang für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien sowie für mehr Mitbestimmung.

Die „Basisbefragung“ nun (unter Parteimitgliedern) ist, ähnlich wie die „Volksabstimmung“, immerhin ein basisdemokratisches Verfahren, das am exzessivsten von den Schweizern betrieben wird, deren Eidgenossenschaft dann auch immer noch die basisdemokratischste Staatsform der Welt sein dürfte, was schon daran ersichtlich ist, dass kein normaler Mensch außerhalb dieses Landes einen Schweizer Politiker auch nur beim Namen kennt. Umgekehrt gilt: Je mächtiger ein Staatsmann, desto undemokratischer ist sein Land! Während die Römer einen solchen Ekelprotz quasi demokratisch institutionalisierten – in Form des gewählten Diktators auf Zeit (nicht zu verwechseln mit dem usurpatorischen Tyrannen), experimentierten die Erfinder der Demokratie, die griechischen Stadtstaaten, für die das Wort „Basisdemokratie“ nebenbei bemerkt ein Pleonasmus gewesen wäre, noch mit ganz anderen „Basisbefragungen“ im Krisenfall, zu dem auch die „K-Frage“ oder der „Kadermangel“ zählen: So erhob Solon die Parteilichkeit (das Partisanentum) im Bürgerkrieg zur Pflicht – jeder musste sich in sozialen Konflikten der einen oder anderen Seite zuschlagen, niemand durfte neutral bleiben, wollte er nicht sein Bürgerrecht verlieren. Dies galt auch noch in Genf – zu Rousseaus Zeiten. Und eigentlich auch in sämtlichen von den Deutschen besetzten Ostgebieten während des Zweiten Weltkriegs. Als Gesetz zur Parteienpflicht hat es jedoch bereits Solon selbst kritisiert. Wahrscheinlich, weil damit die Konflikte eher hochgekocht als runtergefahren werden, wie man heute sagen würde.

Dieser ganze Komplex, von Solons Selbstkritik bis zu Merkels „K-Frage“, ist ein „Basis-Überbau“-Problem – in dem Sinne, dass sich Menschen zusammentun, um einer Partei oder Parteilichkeit in aller Öffentlichkeit Geltung zu verschaffen: Dafür denken sie sich irgendwelche Gremien aus, in die sie ihre Leute wählen, die sich darin erst zu Profis wandeln, dann sich verselbstständigen und schließlich ihr Amt vererben. Um das zu verhindern, denken sich dieselben Leute gleichzeitig irgendwelche Mechanismen oder andere Gremien aus, die da gegensteuern – damit ihnen die Demokratie lebendig erhalten bleibe.

Am Radikalsten taten dies einige Leute um Mao Tse-tung, als sie die „Kulturrevolution“ ausriefen, mit der die Jugend (von unten) gegen die Kader (da oben) mobilisiert wurde: Ein partisanischer Akt gegen die eigene Partei, so hat der Nazistaatsrechtler Carl Schmitt das einmal genannt. Hinter diesem „Basis-Überbau“-Problem versteckt sich aber die gesellschaftliche Arbeitsteilung. Diese wurde in China dergestalt angegangen, dass man die Gebildeten massenhaft aufs Land schickte: Sie sollten von und mit den Bauern lernen.

In der CDU geht man das Problem mit tausenden von Ortsgruppen an: Da tanzen dann regelmäßig die gewählten Politiker in irgendwelchen Kneipenhinterzimmern an und erzählen den dort versammelten Mitgliedern, was sie alles zum Wohle der Allgemeinheit getan haben oder weiterhin zu tun gedenken, wobei sie wertvolle Anregungen von da mitnehmen. Und anschließend geben sie noch einen aus. Das „Basis-Überbau“-Problem ist ohne Alkohol nämlich überhaupt nicht lösbar! Das wussten schon die alten Griechen.