Nur Phantome wählen NPD

Im Sächsischen Landtag will niemand genau untersuchen, welche beiden Parlamentarier am Tag zuvor für die NPD statt für Milbradt stimmten

DRESDEN taz ■ Einen Tag nach dem Eklat im Sächsischen Landtag hat nicht etwa eine Großfahndung nach jenen beiden „U-Booten“ begonnen, die am Mittwoch dem Ministerpräsidenten-Kandidaten der NPD ihre Stimme gaben. Glaubt man den Beteuerungen aller fünf Fraktionen diesseits der NPD, so muss ein Phantom aus der Wandtäfelung getreten sein und die Stimmzettel verfälscht haben.

PDS und Grüne dürften mit ihren ungültigen Stimmzetteln tatsächlich über einen Verdacht erhaben sein. Der mühsam wiedergewählte Ministerpräsident Georg Milbradt schloss definitiv aus, dass die Stimmen aus der CDU gekommen sein könnten. Für eine „Gewissenserforschung“ habe es auf der Fraktionssitzung am Mittwoch keinen Anlass gegeben, sagte Fraktionschef Fritz Hähle der taz. Auch von einem Affront gegen Milbradt will er nichts wissen. Man habe sich ausgesprochen, „und jetzt blicken wir nach vorn“.

Erklärungsversuche bleiben dessen ungeachtet Gesprächsthema in Lobby und Kantine. Der einzige Witz, zu dem sich die Opposition aufraffte, besagte, dass die CDU halt gewohnt sei, immer ganz oben ihr Kreuzchen zu machen. Und dort stand eben Uwe Leichsenring von der NPD.

Ernsthafte Analysen sehen die NPD-Stimmen eher als Zeichen eines Zerwürfnisses zwischen Milbradt und seiner CDU-Landtagsfraktion. Der Koalitonspartner SPD neigt mehrheitlich dazu, die zwei NPD-Stimmen als größtmögliche Watsche für Milbradt zu interpretieren. „Dann muss man sich aber einmal die Verantwortung als Mandatsträger überlegen, und dann sind einige Abgeordnete ihrer Aufgabe nicht gewachsen“, hält die SPD-Abgeordnete Margit Weihnert entgegen. „Deshalb ist die Ministerpräsidentenwahl schlimmer als das Landtagswahlergebnis“, hatte ihr Fraktionskollege Johannes Gerlach schon am Mittwoch bemerkt. Grünen-Fraktionssprecher Andreas Jahnel weist darauf hin, wie wenig Rücksicht Milbradt bei der gestrigen Kabinettsbildung auf die Fraktionswünsche genommen habe. Ein spürbarer Unterschied zur Machtübernahme von Kurt Biedenkopf vor zwei Jahren. So ist der bisherige Wissenschaftsminister Matthias Rößler erstmals seit 10 Jahren nicht mehr Regierungsmitglied. Für Zähneknirschen sorgte auch das Abtreten des Schlüsselressorts Wirtschaft an den SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Thomas Jurk. Seinen CDU-Generalsekretär Hermann Winkler versorgte Milbradt hingegen mit dem Posten des Staatskanzleichefs, falls er die innerparteilichen Stürme nicht überstehen sollte. So ruht der Generalverdacht weiterhin auf der CDU. Die NPD will ihre Orakel nicht konkretisieren, wer zu den Sympathisanten gehören könnte. Fraktionsgeschäftsführer und Strippenzieher Peter Marx sagte, er glaube weniger an einen Milbradt-Denkzettel als daran, „dass man hier im Landtag noch manche Überraschung erleben werde“. Keine Überraschung war gestern, dass bei der von der NPD beantragten aktuellen Stunde „Schöner leben ohne Drogen“ eher eine CDU-NPD-Fraktionsgemeinschaft zu beobachten war als eine CDU-SPD-Koalition.

MICHAEL BARTSCH