Das Bauernopfer von Bochum

Turhan Ersin soll gehen. Die Opel AG will dem Bochumer Betriebsrat kündigen, weil er während des Streiks Kollegen genötigt haben soll. Doch der lebenslustige angebliche „Rädelsführer“ kämpft

AUS BOCHUMKLAUS JANSEN

„Dann werde ich eben Zuhälter“, sagt Turhan Ersin, zwinkert mit dem Auge und grinst. Dass ihn sein Arbeitgeber vor die Tür setzen will, verdirbt dem Opel-Betriebsrat nicht die gute Laune: „Das reizt mich, wenn mich die Chefs an den Pranger stellen – das zeigt doch nur, dass ich die Belange der Arbeitnehmer gut vertreten habe.“

Turhan Ersin friert. Morgens um neun Uhr liegt Raureif über dem Opelwerk II in Bochum Langendreer. In dem riesigen Backsteinbau werden Achsen gebaut, früher auch Motoren und Getrieb – heute sind viele Fertigungshallen in Lager umfunktioniert. Turhan Ersin trägt nur eine dünne Jacke, Lackschuhe, sein Gesicht strahlt in feinstem Sonnenstudio-Braun. Ersin hat seinen Anwalt mitgebracht, er will reden an diesem Morgen, darüber, dass die Adam Opel AG ihn loswerden will – und darüber, dass er sich wehren möchte.

Mit zwei knappen Sätzen hat sein Arbeitgeber verkündet, dass Ersin im Betrieb nicht mehr erwünscht ist. „Wegen schwerer Verstöße gegen arbeitsrechtliche Pflichten“ habe man zwei Mitarbeitern fristlos gekündigt, hatte das Unternehmen vor zwei Wochen mitgeteilt. Ein dritter Arbeiter bekam drei Abmahnungen. „Nötigung und Bedrohung von Kollegen“, wirft die Geschäftsführung Turhan Ersin vor – es braucht einen großen Hammer, um einen unkündbaren Betriebsrat zu schassen. Keineswegs aber wolle man die „Rädelsführer“ des Streiks bestrafen, beteuert Opel.

Turhan Ersins angebliches Vergehen fällt in die „schönsten Stunden“ seiner Zeit bei Opel, den Beginn des Streiks gegen die Sparpläne von General Motors vor knapp vier Wochen. Mit Kollegen ist Ersin durch die Hallen des Werkes gezogen, hat mit einem Megaphon die Zumutungen des Managements verkündet – bis sich ihm ein Meister in den Weg stellte. „Du lügst“, soll der zu Ersin gesagt haben, und „ich brauche keinen Betriebsrat“. Danach habe „ein Wort das andere ergeben“, erzählt Ersin. „Dein Gesicht merke ich mir. Du brauchst mit nichts mehr zu kommen“, hat er dem Meister gesagt. Nötigung, Bedrohung. „Ich habe nichts Verwerfliches getan“, findet Ersin. Er spielt in Castrop-Rauxel Fußball in der Kreisliga, ist Tabellenführer mit seinem Verein Genclikspor. Auf dem Platz geht es ruppiger zu.

Es wird zu kalt vor dem Werkstor, der Sicherheitsdienst gewährt Asyl im gut geheizten Empfangshäuschen. Turhan Ersin grüßt und setzt sich. Er ist ein zierlicher Mann mit zarten Händen. 1986 hat er mit 16 bei Opel angefangen und Maschinenschlosser gelernt. Am Band gearbeitet hat er aber kaum: Nach anderthalb Jahren wurde er Jugendvertreter, später Ersatzbetriebsrat, vor vier Jahren wurde er als Belegschaftsvertreter von der Maloche freigestellt. „Ich habe geistig gearbeitet“, sagt er und lacht. Das Leben genossen auch, ein Bistro hat er gegründet und dann wieder zu gemacht, er fährt keinen Opel, sondern ein schnelles Audi Cabrio. Einer politischen Partei hat er nie angehört. „Ich bin meine eigene Partei“, sagt er. Und diese Partei hat gekämpft: „Jedes Jahr um die Übernahme der Azubis, später um den Erhalt von Jobs. Wenn ich nix drauf gehabt hätte, wäre ich nicht immer wiedergewählt worden.“ Schon gar nicht im Werk II, das als aufmüpfig gilt. Viele Arbeiter haben dort mit Ersin bei der entscheidenden Abstimmung gegen einen Abbruch des Streiks votiert, viele ärgern sich wie er über die umformulierten Stimmzettel des Betriebsrats.

Schon einmal hat Opel Ersin vors Arbeitsgericht gebracht, weil er sich mehr um die Jugendvertreter-Arbeit als um seinen Schlosser-Job gekümmert hat. „In bin denen ein Dorn im Auge. Schon immer. Deshalb soll ich jetzt gehen“, sagt er. Und: „Ich bin halt ein bisschen ein Psycho: Wenn ich was will, setze ich das auch durch. Ob es Richtlinien gibt oder nicht.“

Noch allerdings hat Opel es nicht geschafft, Ersin zu kündigen. Der sonst so zerstrittene Betriebsrat hat sich einstimmig dem Beschluss widersetzt, mit 37 zu null Stimmen. Opel hat das Arbeitsgericht bemüht, will ein Beschlussverfahren, eine Entscheidung steht erst im Frühjahr an. Ersin hat sich einen Anwalt genommen: Michael Dornieden, der sich selbst einen „bekennenden Sponti“ nennt. Dornieden ist verschlafen morgens vor dem Werk, hat einen Dreitagebart, eine Brille und jede Menge Erfahrung. Seit den sechziger Jahren vertritt er Opel-Mitarbeiter gegen die Geschäftsführung. Normalerweise muss er sich mit Bochumer Anwälten auseinandersetzen, doch im Ersin-Prozess lässt sich das Unternehmen von Baker & McKenzie vertreten – der nach eigenen Angaben größten Anwaltskanzlei, beheimatet in Illinois. „Das zeigt, dass der Fall ganz oben angesiedelt ist: Bei GM in Detroit“, sagt Dornieden. Angst habe er jedoch keine.

Wirkliche Angst scheint auch Turhan Ersin nicht zu haben. „Ich mache mir keine Illusionen, noch bis zur Rente hier arbeiten zu können. Das Werk ist eh früher dicht“, sagt er. Klar, mit seiner Betriebsrats-Karriere habe er schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt, aber irgendetwas wird ihm schon einfallen. Muss ihm auch, er hat zwei Töchter zu versorgen, eine ist drei, die andere acht Jahre alt. Zuhälter, das weiß er, ist da nicht das Richtige.