Die Wahrheit im Trugbild

Hamburg wird mittels Montage und Retusche zu einer Phantasie-Metropole. Mittels digitaler Bildbearbeitung zeigt das Buch „Schimären – Bilder (k)einer Stadt“ Ansichten, wie es sie zwar nicht gibt, aber geben könnte

Zwei Häuserzeilen zeigt das Foto, eine Hamburger Straßenschlucht, an deren Ende die Türme der Mundsburg in den blauen Hamburger Himmel ragen. Wer sich auf der Uhlenhorst nicht auskennt, dem wird nicht auf den ersten Blick offensichtlich, dass es sich bei dem Bild um eine Montage handelt. Erst das Straßenschild gibt Auskunft: Bei den eng aneinander gebauten Mehrfamilienhäusern handelt es sich um die Marienstraße in Harburg, in der die mutmaßlichen Attentäter vom 11. September 2001 jahrelang gewohnt haben. Auf einmal wird aus einer architektonischen Ansicht eine Anspielung auf den Terror, der von hier ausging.

Diese Veränderung im Stadtbild durch digitale Bildbearbeitung ist die deutlichste, die sich Juan Hidalgo, Andreas Horlitz und Christoph Winkler in ihrem Buch Schimären – Bilder (k)einer Stadt erlauben. Der Titel spielt auf Roland Barthes an, der noch zu Anfang der 80er Jahre der Malerei unterstellte, ihre „Referenten können ‚Chimären‘ sein“, während „sich in der Photographie nicht leugnen lässt, dass die Sache dagewesen ist“.

Montagen und Retusche hat es aber seit Erfindung der Fotografie gegeben, und durch immer weiter verbesserte Technik und den Einsatz einfach zu bedienender Computer-Programme werden auch aus Fotos immer häufiger Trugbilder. Verdienst der drei Herausgeber ist es, dies am Stadtbild Hamburgs kenntlich zu machen. Da freut man sich geradezu über die Tristheit des Spielbudenplatzes, der von jeglicher Werbung und allen leuchtenden Schriftzügen befreit wurde und als karger leerer Platz präsentiert wird. So viel Authentizität kann in Schimären stecken. Eberhard Spohd

Juan Hidalgo, Andreas Horlitz, Christoph Winkler (Hrsg.): Schimären – Bilder (k)einer Stadt. Hamburg, SEHW Architekten, 2003, 47 Seiten, 19,80 Euro