CONTRA: DER STABILITÄTSPAKT DARF NICHT ZU STRIKT AUSGELEGT WERDEN
: Zu viel Sparen schadet

Ein Regal wird nicht stabiler, wenn man die Schrauben fester zieht. Irgendwann reißen auch Schrauben, das weiß jeder Handwerkslehrling. In der Politik ist diese Weisheit weniger verbreitet. Vielleicht ist der Maastricht-Vertrag wirklich bald tot. Dann aber nicht, weil Deutschland und Frankreich zu wenig tun, sondern weil seine Verfechter, von EU-Finanzkommissar Pedro Solbes bis zu Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz, die Schrauben zu fest anziehen wollen.

Die EU-Finanzminister wissen nur zu gut, wie zwiespältig eisernes Sparen derzeit ist. Schließlich ist die Konjunktur gerade auf dem Weg der Erholung. Bislang wird sie getragen durch die Exporte – nun müssen die EU-Bürger endlich wieder mehr konsumieren, um den Aufschwung nachhaltig in Gang zu bringen. Doch dies wird nicht passieren, wenn der Staat den Bürgern noch mehr abverlangt.

Das Drei-Prozent-Kriterium wurde eingeführt, um den Euro stabil zu halten. Doch der ist im Moment alles andere als schwach. Im Gegenteil: Das größte Risiko für unsere Konjunktur ist der steigende Eurokurs: Seit 2001 stieg der Euro um 40 Prozent gegenüber dem Dollar. Wir hatten es dem schwachen Euro der letzten Jahre zu verdanken, dass wir nur eine Stagnation erlebten – und keine Rezession. Sollte der Dollar, wie zu befürchten, noch weiter fallen, brächen die Exporte ein, da unsere Waren im Vergleich zu anderen Herstellungsländern zu teuer würden. Eine Rezession aber würde das Staatsdefizit erst recht in die Höhe treiben.

Um die EU-Wirtschaft wachsen zu lassen und den Euro gegenüber dem Dollar stabil zu halten, um also die Ziele des Wachstums- und Stabilitätspakts von Maastricht einzuhalten, muss man zur Zeit das Gegenteil von dem tun, was die rechthaberischen „Hüter des Vertrags“ wie Solbes und Merz verlangen. Deshalb votierten die EU-Finanzminister zu Recht gegen weitere Sparauflagen.

Die Konzepte des Vertrags, der Abbau der hohen Staatsdefizite und einheitlichere Finanzpolitik, sind ja nicht falsch. Doch schon bei der ersten Bewährungsprobe, einer leichten Stagnation, brachte seine strenge Auslegung die großen EU-Volkswirtschaften an den Rand der Krise: Der Maastricht-Vertrag ist offensichtlich zu strikt.

Angesichts der Lasten durch die zunehmende Vergreisung Europas tun die Mitgliedstaaten gut daran, ihre Haushalte bald zu konsolidieren. Doch der Stabilitätspakt ist am grünen Tisch entstanden, selbst die Drei-Prozent-Klausel nur aus der Luft gegriffen. Die EU-Kommission sollte den Pakt lieber überarbeiten, statt ihn überzustrapazieren.

MATTHIAS URBACH