Pillen für den Goldesel

Die Pharma-Riesen entwickeln immer öfter Mittel, die kaum besser sind als alte – aber viel teurer

VON ULRIKE WINKELMANN

Sortis ist gegen Herzinfarkt. Es ist das weltweit erfolgreichste Medikament aller Zeiten. „Sozusagen der Meister aller Klassen“, sagt der Geschäftsführer der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Heiner Berthold. Der US-Pharmakonzern Pfizer hat es geschafft, dass Sortis innerhalb kürzester Zeit einer riesigen Zahl von Patienten zum Höchstpreis verordnet wurde.

Allein in Deutschland nehmen etwa 1,5 Millionen Menschen jeden Tag Sortis, woran Pfizer im Jahr 2003 rund 515 Millionen Euro verdiente. Sortis gehört zur Medikamentengruppe der Statine. Damit räumt die Pharmaindustrie seit zehn Jahren den Markt ab: Schon 3,2 Millionen Diabetiker und Übergewichtige nehmen in Deutschland die Blutfettsenker.

Sortis ist also längst nicht das einzige Mittel gegen Herzinfarkt. Andere sind billiger und genauso gut. Sortis ist wahrscheinlich nur für die ganz wenigen Patienten besonders gut, die gerade einen Herzinfarkt überstanden haben. Aber das reicht nicht, um Sortis für etwas Besseres zu halten, sagt die Arzneimittelkommission.

Doch was nicht wirklich neu und besser ist, kommt ab 2005 in ein Preisdeckelungsverfahren: Mit den so genannten Festbeträgen für Scheininnovationen will die Bundesregierung den Anstieg der Arzneimittelkosten bremsen. Eine Milliarde Euro im Jahr soll das bringen. Nur echte Innovationen sollen davon ausgenommen bleiben.

Ein Preisdeckel für Sortis? Aber auf keinen Fall!, erklärt jedoch Pfizer. Der Konzern wird den Preis für Sortis nicht am Festbetrag ausrichten. Der Patient soll über 200 Euro im Jahr draufzahlen. Auf ganzseitigen Anzeigen schiebt Pfizer die Schuld daran den Krankenkassen zu. So soll der Eindruck entstehen, dass Kassenpatienten nicht mehr nach dem Stand der medizinischen Forschung behandelt werden, bloß weil Regierung und Kassen am falschen Ende sparen.

Diesem Vorwurf schließen sich viele Ärzte ansonsten gern an und machen gemeinsam mit Big Pharma gegen Regierung und öffentliches Gesundheitssystem mobil – auch in den Arztpraxen. Doch in diesem Fall ist offen, ob Pfizer die Ärzte und Patienten für sich einnehmen wird. Arzneimittelexperte Heiner Berthold nennt das Vorgehen von Pfizer „unerhört“. Die komplizierte Diskussion über den Minizusatznutzen von Sortis „wird in die Praxis geschoben“, das Arzt-Patienten-Verhältnis damit belastet. „Das ist Erpressung“, sagt Berthold. „Am 3. Januar wird das Theater in den Praxen losgehen – wie dieses Jahr bei der Praxisgebühr.“ Bis dahin will Bertholds Kommission für die Ärzte eine Argumentationshilfe erstellen.

Es passiert selten genug, dass die Pharmaindustrie in die Öffentlichkeit geht, um ihren Umsatz zu verteidigen. Normalerweise reicht es, Politiker im Einzelgespräch darauf hinzuweisen, dass jede Preiskontrolle leider den Arbeitsplatz- und Forschungsstandort gefährde. Nun ist gerade die Pillenproduktion nicht besonders beschäftigungsintensiv. Vernünftige Pflege zum Beispiel schafft mehr Jobs als Medikation.

Auch forscht die Industrie in Deutschland praktisch kaum noch. Der Marketingetat übersteigt den Forschungsetat bis zum Fünffachen, hat der Pharmakologe Peter Schönhöfer ermittelt. „Die Industrie ist nicht mehr fähig, Innovationen zu bringen“, erklärt Schönhöfer. „Sie reproduziert nur noch vorhandenes Wissen, seitdem Wirtschaftler und nicht mehr Wissenschaftler Leitungsfunktionen haben.“ Etwa seit Ende der 70er-Jahre werde der Markt zunehmend mit Scheininnovationen voll gepumpt, für die die Industrie aber Preise verlangt, als müsse sie damit gigantische Forschungskosten abdecken.

Nichts bringt daher die großen internationalen Pharmafirmen so in Rage wie die Festbeträge. Am deutschen Markt richten sie die Preise für die anderen europäischen Länder aus: Wenn die Bundesregierung die Preise deckelt, schädigt das also nicht nur den hiesigen Umsatz. US-Konzerne sind außerdem daran gewöhnt, alle Wünsche erfüllt zu bekommen. Gerade erst hat US-Präsident George W. Bush angekündigt, er werde die Höhe der Schadenersatzsummen begrenzen, die ihnen von Anwälten abgehandelt werden, wenn sie wider besseres Wissen ein tödliches Medikament auf den Markt gedrückt haben – wie jüngst das Rheumamittel Vioxx vom Hersteller Merck & Co.

Doch Aventis, Astra Zeneca, GlaxoSmithKline und Co haben meist auch die deutsche Politik fest im Griff. Noch Mitte der 90er-Jahre gelang es der Pharmaindustrie, dem damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) die Festbeträge für ihre Goldesel-Produkte wieder auszureden: 1996 flogen sie aus dem Gesetz. Auch ein anderer großer Erfolg der Pharmaindustrie fällt in diese Zeit. Zum 60. Geburtstag des Chefs des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, Hans Rüdiger Vogel, überreichte Seehofers Staatssekretär Baldur Wagner dem Geburtstagskind einen Haufen Schnipsel: eine Demutsgeste, die zeigte, dass die Regierung die so genannte Positivliste beerdigt hatte.

Auch diese Liste der wirksamen und kassenbezahlten Medikamente – eine Handreichung für Ärzte – hätte eine Schneise in den Wald der Scheininnovationen geschlagen. Ihre Reanimation unter der rot-grünen Regierung scheiterte übrigens im vergangenen Jahr nicht etwa nur an der Union, sondern auch am Widerstand der SPD-Abgeordneten mit Pharmabezug. Die Fraktions-Vizechefin Gudrun Schaich-Walch zum Beispiel hat Hoechst – heute Aventis – im Wahlkreis Hessen-Süd. Gegen die nun wieder drohenden Festbeträge hatten die Chefs der Großkonzerne im Sommer bereits direkt bei Kanzler Schröder interveniert. Ausnahmsweise scheiterten sie – freilich kein Zeichen der Standhaftigkeit der Bundesregierung. Sondern des Spardrucks.