Verdrängtes Problem

Experten warnen vor steigenden Zahlen bei HIV-Neuinfektionen. Welt-Aids-Tag am 1. Dezember widmet sich der Präventionsarbeit mit MigrantInnen

Stand von vor zehn Jahren, was die Unkenntnis über Aids-Risiken betrifft

von PETER AHRENS

Die Zeit der Sorglosigkeit scheint angebrochen zu sein. Erstmals seit sechs Jahren verzeichnet die Hamburger Gesundheitsbehörde wieder einen Anstieg an HIV-Neuinfektionen, auch bundesweit war die Zahl der neu hinzugekommenen Aids-Ansteckungen noch nie so hoch wie in diesem Jahr. Darauf haben Behörde und Aids-Hilfe gestern auf einer gemeinsamen Pressekonferenz aufmerksam gemacht.

Die vermeintliche Therapierbarkeit der Immunschwächekrankheit hat viele eingelullt. „Die akute Bedrohung scheint zu schwinden, die Leute trauen sich sexuell wieder mehr“, sagt Markus Straube vom schwulen Präventionsprojekt „Hein & Fiete“. Straube spricht vom „Bungee-Jumping-Syndrom“: Als gelte es, einen Kitzel neu zu entdecken, nimmt der Kondomgebrauch ab, werden wieder gewagtere Spielarten ausprobiert – mit dem Ergebnis, dass die Infektionen wieder ansteigen.

Dass daran in Hamburg auch die Kürzungen des Senats bei der Aids-Hilfe ihren Beitrag haben, steht für Straube außer Zweifel: „Selbstverständlich ist es für unsere Arbeit enger geworden.“ Weniger Geld für Aufklärungsarbeit sorgt für weniger Bewusstsein bei den Betroffenen – eine einfache Rechnung. Senatsdirektor Nobert Lettau aus der Gesundheitsbehörde will das aus verständlichen Gründen nicht hören und verweist darauf, dass „wir nach wie vor eine hochkompetente Mannschaft in der Behörde haben“, die sich um das Thema Aids kümmere. Zudem, so sagt er, seien die Kürzungen bei der Aids-Prävention „geradezu marginal, wenn man sie zum Beispiel bei den Einschnitten in der Drogenpolitik vergleicht“. Doch auch Lettau muss einräumen: „Wir haben, was Unkenntnis über Aids-Risiken anbetrifft, wieder einen Stand wie von vor zehn Jahren erreicht.“

Schwerpunkt des Welt-Aids-Tages, der am 1. Dezember zum 16. Mal begangen wird, ist diesmal die Präventionsarbeit mit MigrantInnen. Nach den Schwulen sind sie mittlerweile zur zweitgrößten Risikogruppe aufgestiegen. Gerd Burchard, Arzt am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, weiß vor allem von afrikanischen Flüchtlingen zu berichten, deren Infektionsrate „bedrohliche Ausmaße angenommen“ habe. Burchard vermisst in Hamburg nach wie vor ein zielgerichtetes Angebot, diese Menschen zu betreuen, die Aids-Aufklärung auf den kulturellen Hintergrund der Menschen aus Afrika, Asien oder Osteuropa zu stützen.

Eines dieser Projekte, die dies in der Stadt versuchen, ist das psychosoziale Betreuungszentrum für Flüchtlinge am Grindelberg. Patrick Agyemang, der dort arbeitet, erlebt „täglich die Isolierung von HIV-infizierten MigrantInnen – in der Gesellschaft, aber auch in ihrer eigenen Community“. Agyemang hat zu Hause in Ghana ein Aufklärungsprogramm mit Namen SANN gestartet, das das Thema Aids den Menschen vor Ort bewusst machen will. Das Programm ist allein auf Spenden angewiesen.

In Hamburg sind es neben den afrikanischen Flüchtlingen vor allem die OsteuropäerInnen, die als gefährdet gelten. Der Anteil der Osteuropäer bei den männlichen Strichern in der Stadt zum Beispiel ist „extrem hoch“, sagt Petra Klüfer von der Aids-Hilfe. Prostitution und Menschenhandel mit Frauen aus Bulgarien oder der Ukraine sorgen ebenfalls für die gestiegenen Zahlen in der Hansestadt. Die Frauen sind vielfach nicht auf Aids getestet, illegal nach Deutschland gelockt oder gar verschleppt worden. Aids-Vorsorge spielt in diesem Umfeld immer noch keine große Rolle. Durch die anstehende EU-Osterweiterung wird das Problem künftig nicht gerade kleiner werden.

Spenden an das Projekt SANN: Konto 220 220 220 bei der Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00.