Die Stille der frohen Botschaft

Trotz Umsturz und Rücktritt: In der georgischen Botschaft in Alt-Pankow hängt der ehemalige Präsident Eduard Schewardnadse noch – über dem Schreibtisch des Botschafters, im Konsulatsvorzimmer und im Keller. Man wird ihn wohl dort hängen lassen

von JOHANNES GERNERT

Zwei von vier Kanälen zeigen Spielfilme. Auf einem krampft Joe Cocker in einem Musikvideo rhythmisch seine Finger zusammen. Ein äußerst entspannendes Signal. Noch vor Tagen sahen die Fernsehbilder ganz anders aus. In rotes Licht getauchte Demonstranten. Geballte Fäuste. Aufruhr. Auf dem vierten Kanal wird in einem Mittagsmagazin der Direktor der georgischen Nationalbibliothek interviewt. Seine Hände liegen ruhig in seinem Schoß. Das Gespräch ist die einzige Spur des friedlichen Umsturzes, die sich ins Programm gerettet hat. „Das ist doch ein gutes Zeichen“, sagt Maja Pandshikidse, die stellvertretende Botschafterin, „dass hauptsächlich Spielfilme laufen.“ Dann macht sie den Fernseher aus. Ruhe in den Räumen der georgischen Botschaft. Wie immer. Die Vertretung passt nach Alt-Pankow, in diese dörfliche Beschaulichkeit, in die hinein die Großstadt ausfranst.

Auch Eduard Schewardnadse hängt noch ungestört – im Zimmer des Botschafters. Keine weißen Flecken an der Wand, die von hastig entfernten Porträts zeugen. Der ehemalige Präsident Georgiens hält den Kopf leicht schief und sieht auf den Arbeitsplatz seines ehemaligen Untergebenen herunter. Überaus ernst, gravitätisch, fast tadelnd.

Es würde sich ohnehin nicht lohnen, das Porträtfoto auszutauschen. In Georgien regiert eine Übergangspräsidentin. Es wäre nur ein Übergangsfoto. Eine überstürzte Abhängaktion entspräche nicht dem friedlichen Geist des Umsturzes.

Der Botschafter überlegt noch. Womöglich wartet er für den Bildaustausch die Neuwahlen ab. Schewardnadse gegenüber wacht rauschebärtig Ilja II., das Oberhaupt der georgisch-orthodoxen Kirche. Vor Absetzung gefeit wie der Papst. „Der kann nicht zurücktreten“, stellt die Gesandte fest. Ilja II. hat seinen Platz sicher.

Schewardnadse auch. Zumindest in der Geschichte. Und im Keller. „Die Bilder unten bleiben hängen“, sagt Pandshikidse. Die Verdienste um die deutsche Einheit könne dem Exaußenminister der Sowjetunion schließlich keiner nehmen. Das Vorzimmer des Konsulats gleicht dem Warteraum einer Zahnarztpraxis. Nur die Lesezirkel-Zeitschriften fehlen. An der Wand schreitet Schewardnadse mit Bundespräsident Rau eine Ehrenformation ab, nimmt das Bundesverdienstkreuz entgegen, steht neben Kanzler Schröder, mit halb offenem Mund und geröteten Wangen. Schaut, wie er Ende der Achtziger neben Gorbatschow schaute. Ein Blick, hart an der Grenze zur Grimmigkeit. Als habe er das Ende vorausgeahnt.

Zwischenzeitlich gab es Gerüchte, er käme nach Deutschland, ins Exil nach Baden-Baden. Eine Falschmeldung. Maja Pandshikidse hat sie anfänglich geglaubt. Wie bei den anderen 12 Mitarbeitern der Botschaft ist auch ihr Zutrauen zu den Medien während der unruhigen Tage von Tiflis gewachsen. Aus Mangel an Alternativen. „Wir haben die Revolution im Fernsehen erlebt“, erzählt sie. Erst kurz vor der Wahl war die Botschaft mit einer Satellitenanlage ausgestattet worden. „Eine sehr gute Investition, eine sehr nötige.“ Tag und Nacht wurde alles live übertragen. Wenn den Journalisten nachts nichts mehr einfiel, haben sie einfach die Demonstranten gefilmt. Ohne Kommentar.

Spätestens an dieser Stelle ist Pandshikidse dann schlafen gegangen, nach Hause. Obwohl sie sich ein Bett in der Botschaft gewünscht hätte. Wo dort doch alles so bürgerlich-familiär eingerichtet ist. Der Konferenzraum mit der schwarzen Schrankwand und der braunen Sesselecke aus Leder. Die Tische mit den Glasplatten. Wie im Wohnzimmer. Da saßen sie, meist alle 13, und haben mitgefiebert, an Angehörige gedacht. Pandshikidses Verwandte wohnen fast alle in Tiflis. Ihre Mutter lag mit Grippe im Bett. Die konnte nicht demonstrieren. Von den jüngeren Familienmitgliedern aber habe sie „das erwartet, dass sie auf die Straße gehen“. Sind sie auch. Ohne dass die Gesandte Angst um sie gehabt hätte. „Meine Intuition hat es mir nicht erlaubt, zu glauben, dass etwas Schlimmes passiert“, sagt sie. Ihre Intuition hat Recht behalten.

Sie hat wieder geschlafen in den vergangenen Tagen. Vorher waren die Bilder nachts zu präsent. Sie hat wieder in ihren Terminkalender gesehen, um Treffen abzuhaken, Gespräche. Fürs Tagesgeschäft war während des Umsturzes „keine Kraft, keine Lust“ vorhanden. Jetzt sagt sie: „Die Normalität kehrt wieder ein.“ Übergangsweise fürs Erste.

Dass Georgien in dieser Zeit von einer Frau regiert wird, lässt Pandshikidse kalt: „In der Politik gibt es keine Männer und Frauen.“ Sie trägt ein Hemd unterm grauen Pullunder, dazu schwarze Hosen. Pandshikidse ist gespannt, wen die Opposition nun als Präsidentschaftskandidaten aufstellt. Sie ist zuversichtlich, dass die Ruhe von Alt-Pankow auch in ihrem Heimatland wieder einkehrt. Georgien sei schließlich ein freundliches Land. Ein Land des Weinbaus. „Völker, die Wein anbauen, haben eine ganz andere Weltsicht.“ Eine, die Schewardnadse offenbar teilt. Er habe bereits Interviews gegeben, „locker, nicht verbittert“, sagt die stellvertretende Botschafterin. „Eine Persönlichkeit immer noch, die ich sehr, sehr schätze“, ergänzt sie. Nur habe er eben die Zeichen der Zeit übersehen. Vielleicht sollte man ihn im Botschafterzimmer hängen lassen. Vielleicht würde ihm das gerecht. Ihm und Georgien.