Allein mit Lady Oberneuland

Uraufführung im moks: Kristo Šagors „Trüffelschweine“ gehen auf Tuchfühlung in Richtung Selbstbestimmung

Saskia (18) hat Rike (15) auf den Stuhl gefesselt und schlägt wild auf sie ein. Die revanchiert sich und rammt ihr die mit Ravioli-Resten beschmierte Gabel ins Bein: zwei Teenies in Rage, gespielt von Julia Bardosch und Jelena Mitschke, in dem durchaus deftigen Kammerspielchen „Trüffelschweine“. Uraufführung hatte diese dritte Zusammenarbeit Kristo Šagors mit dem moks-Theater am Wochenende. Eine Inszenierung „für alle ab 13 Jahren“ und zugleich das Bremer Regiedebüt der jungen Regisseurin Jorinde Dröse.

Zwei Mädchen im Wohnwagen, in klaustrophober Enge, für das Publikum einzusehen aus der klassischen Guckkastenperspektive: Eigentlich hält Saskia die jüngere Rike im Wohnwagen gefangen, weil deren Vater eine Anzeige zurückziehen soll und ihren asozialen Lover so vorm Knast bewahren könnte. Im Nahkampf wird der Schlüssel verschluckt, die Mädels sitzen fest und die Machtverhältnisse geraten ins Wanken.

In Wirklichkeit kämen die spröde Bonzentochter und das grelle Proll-Blondie aus der Unterschicht wohl nicht über verbale Schulhofpöbeleien hinaus. In Šagors Utopie von Freundschaft jenseits sozialer Unterschiede aber dürfen sie auf Tuchfühlung gehen. Und sich nach dem Schlagabtausch sogar auf ungewisse Reise Richtung Freundschaft begeben.

Wobei schnell klar wird: Die eine ist gar nicht so brav, die andere gar nicht so blond. Richtig lebendig werden die beiden Mädchen aber erst, wenn sie aus dem Wohnwagen Richtung Zuschauerraum treten, wenn Rike im gefälschten Erpresservideo mit Strumpfmaske als A(larmierend) P(pubertierende) O(pposition) trotzig-bissig an die Eltern appelliert: „Aknehaut gehört uns! Pubertät geht euch ab-so-lut nichts an!“

Spannend wird es wenn sich die beiden eingestehen, dass Neid der eigentliche Motor für ihre Gewaltausbrüche ist. Bei Rike, die angeekelt über das Geknutsche der Älteren lästert „und dann leckt ihr euch an der Haltestelle immer die Gesichter“, und doch selbst noch nie verliebt war, während Saskia mit glasigen Augen die Disziplin bei Ballett und Geigenunterricht von „Lady Oberneuland“ idealisiert.

Die rasante Entwicklung der beiden zu selbstbestimmten jungen Frauen inklusive Abnabelung von Papa oder dem kriminellen Freund, wäre deutlicher geworden, hätte sich Šagor auf ein, zwei Themenkomplexe konzentriert. So bleibt manches an diesem Abend unentschlossen: Prädikat wertvoll, aber mit Einschränkungen.

Roland Rödermund

Nächste Abendvorstellungen: 20. und 21. November, jeweils um 20 Uhr.