Schlechte Noten für die Schule

CDU und Grüne beschließen bei Parteitagen Schulreformen – aber in entgegengesetzte Richtungen. Überraschenderweise spricht sich dabei jeder dritte Grünen-Delegierte für ein Zentralabitur aus

VON STEFAN ALBERTI

Hier Noten ab der zweiten, dort ab der neunten Klasse. Hier die Trennung der Schulformen, dort gemeinsames Lernen. Weit auseinander liegen die am Wochenende bei Parteitagen beschlossenen schulpolitischen Ideen von CDU und Grünen, die noch vor kurzem als Koalitionspartner ab 2006 gehandelt wurden.

Gemessen am Status quo gehen beide in genau entgegengesetzte Richtungen. Bestes Beispiel ist die Notengebung. Derzeit gibt es in Berlin Zensuren ab der 4. Klasse – die CDU aber will sie schon ab der 2., die Grünen verschieben sie auf das 9. Schuljahr. Bis dahin soll es „individuelle Lernentwicklungsberichte“ geben.

„Individuell“ ist ohnehin der Begriff, der sich durch die grüne Bildungsdiskussion zog. Von Individualität und Vielfalt soll die Pädagogik ausgehen, gezielt individuell soll die Förderung sein. Individuelle Bildungspläne mit jedem Schüler sollen „spezifische Bildungsziele“ beschreiben.

Im derzeitigen Berliner Schulsystem – auch nach dem von Rot-Rot vorgelegten Schulgesetz – ist das für die Grünen nicht machbar. „Das ist keine Bildungspolitik, das ist einfach Dilettantismus“, kritisierte Landeschef Till Heyer-Stuffer. Das dreigliedrige Schulsystem hat für ihn ausgedient, Berlin brauche eine neue Schule und eine neue Unterrichtskultur. „Und die schaffen wir nur bei gemeinsamem Lernen bis zur 10. Klasse.“ Eine solche Gemeinschaftsschule – den Begriff Einheitsschule mieden die Grünen – soll sich an Skandinavien orientieren, das bei der Pisa-Studie so gut abschnitt.

Was fast zeitgleich am Samstag die Union vorlegte, nannte Heyer-Stuffer „bildungspolitische Steinzeit pur“. Enttäuscht wurde er aber, falls er von seinen Parteifreunden einhellig laute Buhrufe für Zitate aus dem CDU-Papier erwartete – etwa dass Fleiß, Ordnung, Disziplin, Höflichkeit, Pünktlichkeit und Ehrlichkeit zu fördernde Grundtugenden seien. Gemurmel in den Reihen vermittelte den Eindruck, dass nicht alle Delegierten darin Schlechtes sahen. Heyer-Stuffer legte nach und verwies auf fehlende Kreativität.

Als ob es die kaum einen Kilometer entfernt tagende Union gehört hätte, ergänzte sie nach langer Diskussion ihr Bildungspapier um die „Förderung des selbstständigen, lebenslangen Lernens“. Zudem tauchen die Begriffe Kommunikation und Teamwork auf. Weitere zentrale Punkte bei der Union: Einschulung schon von Fünfjährigen mit guten Deutschkenntnissen. Für Kinder mit geringen Kenntnissen will die CDU will eine Vorklassenpflicht. Nach Diskussionen kam der ergänzende Passus „Förderklassen für Quereinsteiger zur Sprachförderung“ hinzu. Die Grünen wollen hier ein kostenloses „Bildungsjahr“ im letzten Kita-Jahr, um gezielt auf die Schule vorbereiten zu können.

Wie wenig sich die Parteien trotz aller Unterschiede in enge Schubladen pressen lassen, zeigte bei den Grünen das Thema Zentralabitur. Das war lange allein bei der CDU angesiedelt, ist aber auch bei den Grünen nicht mehr komplett tabu. Zwar scheiterte der Kreisverband Pankow mit seiner Forderung nach einem Zentralabitur. Schätzungsweise ein Drittel der Delegierten aber unterstützte den Antrag. Zudem hatte sich der Landesvorstand auf einen Kompromiss als Alternative eingelassen, der zumindest von „zentralen Prüfungselementen“ spricht.

Die Grünen verhehlten nicht, dass die geforderte neue Schule samt qualifizierter Pädagogen nicht für umsonst zu haben ist. Sie sehen jedoch auch Sparpotenzial: 85 Millionen, so rechnete Schulpolitiker Özcan Mutlu vor, koste es etwa derzeit, jährlich rund 17.000 Schüler sitzen bleiben zu lassen. Die Grünen wollen das Sitzenbleiben abschaffen, die CDU will daran ab der 4. Klasse festhalten. Nur in einem Punkt sind sich beide Parteien fast einig. Die 200 Millionen Euro, die aufgrund sinkender Schülerzahlen zukünftig frei werden, sollen mehr oder weniger im Bildungsetat verbleiben.