Mehr Rechte für Algerierinnen

Das Familienrecht in Algerien ist das rückschrittlichste in der Region. Jetzt soll es geändert werden. Dem Gesetzentwurf zufolge brauchen Frauen keinen Vormund mehr und können die Scheidung einreichen. Die Islamisten sind dagegen

VON REINER WANDLER

Die Algerierinnen sollen mehr Rechte bekommen. So sieht es ein Gesetzentwurf vor, der unter anderem die Volljährigkeit von Frauen und Männern angleicht. Algerierinnen sollen künftig nicht mehr mit 18, sondern erst mit 19 volljährig sein. Bei Männern wird das Alter von 21 auf 19 heruntergesetzt. Nur wer die Volljährigkeit erreicht hat, darf heiraten. Die Reformpläne für das seit 20 Jahren gültige Familiengesetz sehen vor, dass die Frauen dazu keinen Vormund mehr brauchen. Bisher unterstehen die Algerierinnen immer einer männlichen Person. Bei Ledigen ist dies der Vater, oder wenn dieser verstorben ist, ein Bruder, bei Verheirateten der Ehemann.

Auch in der Ehe selbst soll sich einiges ändern. Die Reform sieht ein Verbot der Polygamie vor. Die Frauen sollen künftig das Recht auf Scheidung haben. Bisher konnten nur der Mann den Bund fürs Leben lösen, indem er die Frau ganz einfach verstieß. Die Wohnung behielt er, die Kinder, wenn er es so wünschte, auch. Die Reform sieht nun ein Scheidungsverfahren vor, wie es auch in Europa üblich ist.

„Wir sind lebenslang minderjährig“, beklagten sich die algerischen Frauenverbände immer wieder über das bisher gültige Familiengesetz. Dabei waren die Frauen nach der Unabhängigkeit den Männern gleichgestellt. Doch die konservativen Kräfte versuchten in den 60er- und 70er-Jahren immer wieder, das Gesetz an ihre Koraninterpretation anzupassen. Sie sahen darin die endgültige Abkehr von den Normen der Kolonialzeit und die Rückkehr zu den eigenen Werten. 1984, nach dem Tode des historischen Präsidenten Houarie Boumediene, war es dann so weit. Der neue Staatschef Ben Chadli führte das bis heute gültige Familiengesetz ein. Es ist das rückschrittlichste in der Region. In Tunesien sind Männer und Frauen vor dem Gesetz gleich. So ließ es der Vater der Unabhängigkeit, Habib Bourguiba, festschreiben. Selbst im ansonsten durch seine Rückständigkeit bekannten Marokko wurde das Familienrecht Ende vergangenen Jahres reformiert. Es entspricht in ungefähr dem, was im algerischen Gesetzentwurf steht.

„20 ans, barakat“ – „20 Jahre sind genug!“ haben sich die Frauenverbände in dem den Algeriern eigenen Mischmasch aus Arabisch und Französisch auf die Fahnen geschrieben. „Der Gesetzentwurf ist ein Fortschritt“, erklärt Soumia Salhi, Vorsitzende der Kommission arbeitender Frauen und der Vereinigung für die Emanzipation der Frau. „Doch das ganze Familiengesetz beruht auf der Ungleichbehandlung der Frau. Deshalb wollen wir eigentlich keine Reform, sondern die vollständige Abschaffung des Familiengesetzes.“ Die Frauenverbände, die sich in der Kommission arbeitender Frauen zusammengeschlossen haben, hoffen dennoch, dass dieses Mal zumindest die Reform umgesetzt wird.

Seit Ende der 90er-Jahre wurden insgesamt vier Expertengremien eingerichtet, alle legten der entsprechenden Regierung ihre Reformpakete vor. Doch sie verschwanden immer wieder in der Schublade. Dieses Mal scheint es den Regierenden ernst zu sein. Staatspräsident Abdelasis Bouteflika versprach 2003 im Falle seiner Wiederwahl das Thema Familiengesetz ganz oben auf die Liste seiner Reformvorhaben zu stellen. Die Mehrheit im Parlament dürfte er dafür haben.

Doch die Reformpläne stoßen nicht nur auf Zustimmung. Die beiden zugelassenen islamistischen Parteien, al-Islah und MSP, schlossen sich mit dem konservativen Flügel der einstigen Einheitspartei FLN zusammen, um das bisher gültige Gesetz zu verteidigen. „Die Reformvorschläge verstoßen gegen das islamische Recht“, beschwert sich al-Islah-Chef Abdallah Dschaballah. Für die Islamisten und Konservativen handelt es sich bei den Reformplänen um „einen Angriff westlicher Laizisten und Frankreichfreunden auf die Würde der Frau“. Und Dschaballah wettert immer wieder auf seinen Versammlungen: „Sie wollen Algerien verwestlichen, in dem sie die familiäre Einheit angreifen. Was Gott gefügt hat, darf der Mensch nicht ändern.“